Our beloved librarian wrote:
>German:
>Geschichtskorper: zur Aktualitat von Ernst H. Kantorowicz, ed. W. Ernst
>& C. Vismann (Munchen: Fink, 1998).
>tom izbicki
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Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Samstag, 21.11.1998 Nr. 271 47
Moderner Staat und abendländisches Königtum
Studien von Ernst H. Kantorowicz
Ernst H. Kantorowicz: Götter in Uniform. Studien zur Entwicklung des
abendländischen Königtums. Aus dem Englischen von Walter Brumm.
Herausgegeben von Eckhart Grünewald und Ulrich Raulff. Mit einer Einleitung
von Johannes Fried und einem Nachwort von Eckhart Grünewald. Verlag Klett-
Cotta, Stuttgart 1998. 391 S., SFr. 256.-.
Blandine Kriegels Kritik findet sich in: Wolfgang Ernst, Cornelia Vismann (Hrsg.):
Geschichtskörper. Zur Aktualität von Ernst H. Kantorowicz. Verlag Wilhelm Fink,
München 1998. 239 S., SFr. 51.80.
«Götter in Uniform» - der flotte Titel, der dem ersten der in dem hier zu
würdigenden Band versammelten Aufsätze von Ernst H. Kantorowicz entlehnt
ist, rückt den Untertitel: «Studien zur Entwicklung des abendländischen
Königtums» zurecht, und der Leser sieht, worum es sich handelt: Es sind im
wesentlichen Seitenstücke zu der erst 1990 ins Deutsche übersetzten, als
wissenschaftliche Meisterleistung anerkannten Arbeit «The King's Two Bodies».
Die Lektüre setzt einiges an antikem, mediävistischem und frühneuzeitlichem
Marschgepäck voraus, und das Ganze wäre ein Buch für einen Kreis von
interdisziplinär interessierten Fachwissenschaftern, wenn da nicht die Biographie
dieses grossen Gelehrten wäre - und sein erstes Erfolgsbuch aus dem Jahre
1927, das die Swastika - das Hakenkreuz - des George-Kreises auf dem
Einband trägt: «Kaiser Friedrich der Zweite». Dieses Buch über den
sizilianischen Hohenstaufen, den Kantorowicz als alles überstrahlenden Helden,
einen «mittelmeerischen Germanentyp» nach dem Vor-Bild des Bamberger
Reiters, vor dem düsteren Hintergrund künftigen Niedergangs im «Interregnum»
deutete, hatte seinerzeit unter Historikern eine erregte Debatte über die Grenzen
von Geschichtsschreibung und «Mythenschau» ausgelöst: Sprachlich schlug
Kantorowicz den hohen Ton von George und Gundolf an - und da politische
Trennschärfe nicht gerade ein Charakteristikum des George- Kreises war, geriet
sein Buch sozusagen in die falschen Hände. Hitler soll es zweimal gelesen
haben, Himmler schätzte es, und Göring hat es an Mussolini mit Widmung
verschenkt. Der Autor war allerdings 1938 nach den Pogromen der
«Reichskristallnacht» gerade noch rechtzeitig emigriert - denn Ernst
H. Kantorowicz, geboren 1895 in Posen, war ein jüdischer Deutscher. Am
20. April 1933 - Hitlers Geburtstag - hatte er aus Protest um Beurlaubung für das
Sommersemester gebeten; am 14. November 1933 versuchte er noch einmal,
seine Lehrtätigkeit wiederaufzunehmen mit einer Rede über das «Geheime
Deutschland». Er plädierte für Weltoffenheit gegen Deutschtümelei und klagte
über die beschränkte NS-Geschichtssicht: «Tut so der väter berg sich auf?»
«Konservative Tendenzen»
Die Einleitung von Johannes Fried zeichnet Leben und Werk dieses national-
konservativen Historikers nach. Die deutschen Juden im polnischen Umfeld
betrachteten sich als Pioniere der deutschen Kultur; eine Grundkonstellation, die
sich als Möglichkeit, «konservative Tendenzen in fruchtbare Beziehung zum
Deutschtum zu setzen» - so Walter Benjamin -, im George-Kreis weiterführen
liess. Wie selbstverständlich meldete sich der Sohn eines Fabrikanten 1914 als
Kriegsfreiwilliger; damit nicht genug, kämpfte er nach der Niederlage 1918 in den
Freikorps gegen die Arbeiter- und Soldatenräte in Posen, Berlin und München.
Wahrscheinlich ist diese Entscheidung zum Menetekel seines Lebens
geworden, denn als er 1949 im Gefolge der Kommunistenjagd der Mc-Carthy-Ära
in Kalifornien einen politischen Eid ablegen sollte, gehörte er zu den
Verweigerern. An den Universitätspräsidenten schrieb er: «Meine politische
Vergangenheit hält jeder Überprüfung stand. Ich habe mich zweimal freiwillig
gemeldet, um aktiv, mit Gewehr und Pistole, die Linksradikalen in Deutschland
zu bekämpfen; ich weiss aber auch, dass ich mit meinem Anschluss an ein
Freikorps - wenngleich indirekt und gegen meine Absicht - den Weg bereitet
habe, der zum Nationalsozialismus und zu seiner Machtergreifung geführt hat.»
Es ist schwierig, die Spannung zwischen dem Frühwerk, der Heroenschau eines
Zweiunddreissigjährigen (zu der er allerdings einen jeden Kritik standhaltenden
Anmerkungsband nachlieferte), und dem reifen Werk von 1957 auf die politische
Erfahrung dieses Lebens hin abzubilden, und doch muss man die Aufsätze
dieses Sammelbandes sowohl als gelehrte Studien wie zugleich als
«exemplarische Zeitdokumente» zu lesen versuchen. Denn ihre Grundlage, «The
King's Two Bodies», war als eine Art Parallelaktion zu Ernst Cassirers «Der
Mythus des Staates» gedacht. Was dort aber im weit ausholenden
geistesgeschichtlichen Bogen von Platon bis Heidegger abgehandelt wurde,
brachte Kantorowicz in die detaillierte Forschung eines Historikers ein. Es ging
darum, zu verstehen, warum und wie sich im Mittelalter eine politische Theologie
zu entfalten begann, die zu einer sakralen Überhöhung des Staates führte - bis
hin zu den «Idolen moderner politischer Religionen» der Gegenwart. Der Autor
beeilte sich aber zu sagen, diese furchtbare Gegenwart sei nicht der
Ausgangspunkt seines Forschens gewesen, er habe sie jedoch desto klarer
erkannt, je mehr er sich in die frühen Entwicklungen vertiefte.
Da man getrost davon ausgehen kann, dass «Kaiser Friedrich der Zweite» nach
wie vor bekannter ist als «Die zwei Körper des Königs», und niemand einen
zwingt, einen Sammelband in der Reihenfolge der abgedruckten Beiträge zu
lesen, bietet vielleicht der Aufsatz über die «Rechtsgrundlagen der Kaisersage»
einen möglichen Einstieg. Denn hier stossen wir wieder auf das vertraute
sibyllinische «Vivit et non vivit», mit dem das Werk von 1927 abschloss. Nun
geht es aber nicht mehr um das Erwachen des schlafenden Kaisers und um die
Heraufführung neuer deutscher Herrlichkeiten, sondern die Kyffhäusersage
enthüllt sich als Missverständnis eines rationalen juristischen Arguments: Der
Kaiser lebt in seinem Nachfolger weiter - es entwickelt sich eine neue Theorie
ewiger Staatlichkeit als ordnungsstiftendes Element. Der Staat stirbt deshalb
nicht, weil Könige zwei Körper haben, einen irdischen und einen zweiten, der als
Übertragung des corpus mysticum Christi aus der Sphäre der Theologie in die
der Staatsmacht eingedrungen ist. In der Lehre von der sakralen Qualität dieses
spirituellen «Körpers» strebte der weltliche Staat nicht nur nach Kontinuität,
sondern auch nach quasireligiöser Glorifizierung.
Wer dann mit dem Aufsatz «Dantes <Zwei Sonnen>» weiterliest, erfährt, wie der
päpstlichen Sonne-Mond-Symbolik (die den Vorrang der Kirche vor dem Kaiser
ausdrückte) von der Reichstheologie her eine Strategie der sich wechselseitig
ergänzenden Doppel-Sonne entgegengesetzt wurde, die den Kaiser wieder in
seine Stellung als Sol mundi einrückte. Denn so heisst es im «Fegefeuer»,
16. Gesang: «Rom, das die Welt so gut geordnet hat, / besass zwei Sonnen
einst, die beiden Wegen / erstrahlten, dem der Welt und Gottes Pfad.» Nicht nur
die Kirche ist nach Paulus die Inkarnation des corpus mysticum - auch der
weltliche Staat strebte nach einer unmittelbaren, nicht über den Stuhl Petri
abgeleiteten Legitimation in einem «ewigen Cäsarentum». Der König ist
sterblich, in Hinblick auf die Dignität seines «politischen Körpers» aber
unsterblich.
Ordnungsvorstellungen
Die Ausgangspunkte für diese religiös-weltliche Überschneidung kamen von
beiden Seiten. Der «Gott in Uniform» lässt sich bis zum Christus miles
nachweisen; die «Mysterien des Staates» parallelisieren den corpus ecclesiae
mysticum mit dem corpus reipublicae mysticum. Dieses Problem umspielen die
in diesem Sammelband vereinigten Aufsätze unter verschiedenen, wie in einem
Prisma gebrochenen kulturhistorischen und kunstgeschichtlichen
Ausgangspunkten. Richtig schätzen können wird sie nur, wer sich zuvor mit den
beiden Eckpunkten im Werk Kantorowicz' vertraut gemacht hat, mit «Kaiser
Friedrich dem Zweiten» und den «Zwei Körpern des Königs».
Der Leser wird dann auch bemerken, dass der Weg vom Reich der Hohenstaufen
zu Dantes Reichsidee in der «Monarchia», mit dessen Vision einer humana
civilitas das zweite Werk schliesst, gar nicht so weit gewesen ist, weniger weit,
als man einem unter diesen Umständen emigrierten Gelehrten zutrauen möchte.
Der Autor - zu dieser Einsicht gelangt auch die Einleitung - ist sich in
bemerkenswerter Weise treu geblieben. Das den Band abschliessende
Gespräch zwischen dem derzeit sicherlich besten Kenner der Biographie
Kantorowicz', Eckhart Grünewald, und einem Schüler Kantorowicz', Robert
L. Benson, vermittelt einen ähnlichen Eindruck. Zwar sind die in Amerika
entstandenen Aufsätze vom Ansatz her kritisch gedacht, die Vorstellung von
einer ordnungsstiftenden humanitas schlägt aber immer wieder durch - auch
wenn nun seinen «Kaisern und Helden / Das geheime Deutschland» im Dom zu
Palermo keinen Kranz mehr niederlegt. Diese Vorbemerkung von 1927 wurde im
Wiederabdruck des Friedrich-Buches von 1963 gestrichen. Doch ein
Widerschein der deutschen Debatten am Ende der Weimarer Republik und in
den frühen dreissiger Jahren bleibt im ganzen Werk Kantorowicz' lebendig.
Genau hier setzt auch mögliche Kritik an. Auf einer der Tagungen zum
hundertsten Geburtstag von Kantorowicz hat Blandine Kriegel die Frage
aufgeworfen, ob man wirklich die Entwicklungen des modernen Staates vom
«Sacrum Imperium» her denken dürfe. Sind für die westeuropäische Entwicklung
nicht Bodin, Hobbes, Spinoza und Locke wichtiger gewesen, Denker, die die
konfessionellen Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts zu verarbeiten
suchten? Für alle, die, wenn es um die kulturelle Selbstfindung Europas geht,
nicht einfach «Rom» sagen wollen, ist das ein nicht unerheblicher Einwand.
Die hier übersetzten Aufsätze sind - mit einer Ausnahme - den monumentalen
«Selected Studies» von 1963 entnommen, einem Band zur Erinnerung an
Kantorowicz, dessen Auswahl er noch selbst geordnet hatte. Auf «Christus-
Fiscus» hätte man gut verzichten können, da er schon einen Unterabschnitt in
«The King's Two Bodies» bildet. Auf der andren Seite wäre ein Abdruck der
«Wiederkehr gelehrter Anachorese im Mittelalter» sinnvoll gewesen, denn gerade
dieser Aufsatz lässt etwas von Kantorowicz' eigener Haltung zu seinem Zeitalter
durchscheinen. Das gut ausgestattete Buch mit seinem soliden Pappschuber
scheint nicht nur für die wiedererwachte Beschäftigung mit Kantorowicz, sondern
darüber hinaus für die Ewigkeit gemacht zu sein. Sein Preis deutet aber an,
dass der Verlag wohl doch nur mit einem Fachpublikum rechnet - leider.
H. D. Kittsteiner
Greetings
Niklaus Schatzmann
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