JiscMail Logo
Email discussion lists for the UK Education and Research communities

Help for GERMAN-STUDIES Archives


GERMAN-STUDIES Archives

GERMAN-STUDIES Archives


GERMAN-STUDIES@JISCMAIL.AC.UK


View:

Message:

[

First

|

Previous

|

Next

|

Last

]

By Topic:

[

First

|

Previous

|

Next

|

Last

]

By Author:

[

First

|

Previous

|

Next

|

Last

]

Font:

Proportional Font

LISTSERV Archives

LISTSERV Archives

GERMAN-STUDIES Home

GERMAN-STUDIES Home

GERMAN-STUDIES  July 2019

GERMAN-STUDIES July 2019

Options

Subscribe or Unsubscribe

Subscribe or Unsubscribe

Log In

Log In

Get Password

Get Password

Subject:

NZZ Artikelempfehlung: Sprache ist nur Kunst, wenn sie das Schweigen in sich bewahrt: Wie Gershom Scholem moderne Literatur gelesen hat

From:

Henrike Laehnemann <[log in to unmask]>

Reply-To:

Henrike Laehnemann <[log in to unmask]>

Date:

Sun, 7 Jul 2019 06:50:39 +0000

Content-Type:

text/plain

Parts/Attachments:

Parts/Attachments

text/plain (1 lines)



Dieser Artikel wird Ihnen empfohlen: https://www.nzz.ch/feuilleton/gershom-scholem-die-sprache-muss-das-schweigen-in-sich-bewahren-ld.1489565?mktcid=smsh&mktcval=E-mail Neue Zürcher Zeitung https://www.nzz.ch © Neue Zürcher Zeitung AG - Alle Rechte vorbehalten



Sprache ist nur Kunst, wenn sie das Schweigen in sich bewahrt: Wie Gershom Scholem moderne Literatur gelesen hat



Jüdische Mystik und Kabbala: Darum kreiste das Denken des Religionshistorikers Gershom Scholem. Als fulminanter Leser hat er sich aber auch zeitlebens mit zeitgenössischer Literatur beschäftigt. Durchaus kritisch, wie seine Notate dazu zeigen.

Felix Philipp Ingold

26.6.2019, 05:30 Uhr



Dass Gershom Scholem (1897–1982) auch jenseits seiner hauptsächlichen Forschungsbereiche – der althebräischen Sprachkultur, der jüdischen Mystik, der Kabbala – ein fulminanter Leser war, ist eindrücklich belegt durch seine Tagebücher, seine Korrespondenzen und seine verstreuten journalistischen Schriften. Als Gesprächs- und Briefpartner Walter Benjamins hatte er über viele Jahre hin den zeitgenössischen deutschen Literaturbetrieb wie auch aktuelle literaturgeschichtliche und -theoretische Debatten mitverfolgt, ohne sich freilich daran zu beteiligen. Scholems literarische Interessen galten vorrangig der biblischen Dichtung, der chassidischen und der modernen jüdischen Erzählkunst sowie der Praxis und Theorie der Übersetzung.



Ein umfangreicher Textband dokumentiert nun diese vielfältigen Interessen – mit eingeschlossen die eigenen Gedichte des Autors − unter dem Allgemeinbegriff «Poetica». Vorgelegt werden Scholems Verdeutschungen biblischer Klagelitaneien (zum Beispiel Jeremias, Hiob), Hymnen und sonstiger religiöser Texte (Buch Jona, Kohelet, Psalmen usw.), aber auch Schriften neuzeitlicher jüdischer Verfasser (C. N. Bialik, S. J. Agnon). Dazu kommen verstreute sekundärliterarische Materialien (Rezensionen, Kommentare, Reminiszenzen, Ansprachen, Abhandlungen), einige davon in Erstpublikation, die meisten nachgedruckt aus Zeitschriften oder Sammelwerken und aus früheren Büchern des Verfassers.



So, wie Gott gesprochen hat



Die hier nahezu vollständig gebündelten Texte sind von höchst unterschiedlicher Qualität. Oft handelt es sich um Gelegenheitsarbeiten, Werk- und Übersetzungskommentare oder fragmentarische Notate, seltener um grösser angelegte kohärente Schriften. Fast durchweg bleibt Scholems Augenmerk auf die althebräische Sprache fokussiert, die von ihm als Ursprache, als die Sprache schlechthin, wenn nicht als die Sprache Gottes hochgehalten und sakralisiert wird.



Mit Bezug auf das Hohelied heisst es an einer Stelle: «Die hebräische Lyrik erhält ihre einzigartige Grösse durch die Würde der Sprache. Die Würde der Sprache ist das, was an einer Sprache schlechthin unübersetzbar ist. Sie ist nicht der Stil, sondern macht vielmehr eine eigene Ordnung aus, die die Verbindung mit der Thora begründet.»



Das ist beeindruckend, geradezu erhaben formuliert, kann aber argumentativ weder begründet noch widerlegt werden, bleibt also sprach- und textkritisch ohne Belang. Doch genau diese suggestive, begrifflich unbestimmte Art des Behauptens und Verkündens hat Scholem über Jahrzehnte hin praktiziert und so zu seinem Personalstil gemacht.



Oberflächliche Schwätzer



Beschwörung verbindet sich in seinen Schriften mit höchstem Wahrheitsanspruch, fordert Gefolgschaft, verhindert Widerrede. Was sollte man entgegnen, wie könnte man überhaupt reagieren auf eine Feststellung wie diese: «Wie das Licht sich aus einem selbst dunkeln, lichtlosen Punkt unendlich nach aussen verbreitet, um im Unendlichen vielleicht in jene punktuelle Dunkelheit, das grösste, intensivste Strahlen, zurückzutauchen, so entwickelt sich die Dichtung in der Resonanz eines akustisch unendlich strahlenden Urbodens»? Akustisches Strahlen? Resonanz eines Urbodens? Punktuelle Dunkelheit im Unendlichen? Man kann das alles zur Kenntnis nehmen, doch was ist damit anzufangen?



Mit intellektuellen und religiösen Gegnern, die sich derartiger Rhetorik verschliessen, springt Scholem in aller Regel äusserst ruppig um. Zu diesen Gegnern gehören nicht zuletzt die neuhebräischen Schriftsteller, allen voran die Lyriker. «Das Hebräische», dekretiert er, «duldet allein Strenge». Wer sich der Strenge (der «Zucht») des Bibelhebräisch entziehe und das «erleichterte» moderne Hebräisch (Ivrit) als Dichtersprache praktiziere, könne nur ein «oberflächlicher Schwätzer» sein: «Beinahe alle [neuhebräischen] Gedichte Bialiks, Cahans und Tschernichowskis sind entweder ganz durchsichtiger oder besten Falles sehr verborgener Schwindel.»



Und schlimmer noch: Sie sind durchweg «negativ», «unrein», «sentimental», «areligiös» und (etwa bei Jakob Cahan) reine Kling-Klang-Poesie. Demgegenüber privilegiert Scholem die zeitgenössische jüdische Kunstprosa, namentlich Chaim Nachman Bialik und Samuel Josef Agnon – ihnen widmete er zahlreiche Aufsätze und Besprechungen, und als Übersetzer war er bemüht, sie beim deutschen Lesepublikum einzuführen.



Lyrisch, aber ziemlich verrückt



Scholems langwierige kritische Auseinandersetzung mit der modernen jüdischen Literatur stand in starkem Kontrast zu seinem Desinteresse an der literarischen Moderne insgesamt: Er subsumierte sie pauschal unter dem Begriff einer «Kunst um der Kunst willen», hielt sie grösstenteils für unseriös und ärgerlich, vermochte selbst mit Marcel Proust nicht «warm» zu werden, gerade weil «Wärme» für ihn stets ein Kriterium starker Literatur gewesen ist.



Dass ihm auch eine Else Lasker-Schüler nichts zu sagen hatte, mag darauf zurückzuführen sein, dass er deren offenkundige «Wärme» als unangenehme Überhitzung empfand – ihre Sprache kam ihm «lyrisch-verrückt» vor, ihre Texte und sie selbst als Person verstörten ihn: Die Dichterin vermochte sich vor dem Judaisten nicht als Jüdin zu behaupten. Als Juden versagten laut Scholem auch Kurt Tucholsky und später Philip Roth – beide hätten fahrlässig dem Antisemitismus zugedient und damit auf infame Weise ihren Selbsthass ausgelebt.



Im Übrigen kein Wort zu den beanstandeten Texten als Literatur. Nicht nur in diesem Fall vermengt Scholem bedenkenlos Kunst und Gesinnung, und er gesteht dies auch offen ein, wenn er betont, dass seine «Ausführungen nicht im Mindesten als Beitrag zur Literaturkritik» gedacht seien. Das hat Geltung für seine Auseinandersetzung mit literarischen Vorlagen insgesamt: Form- und Stilfragen bleiben weitgehend ausgeblendet, Interesse finden hier lediglich die Inhalte (Ideen, Anschauungen, Meinungen), die vom Literaturwerk transportiert werden.



Das Innerste lässt sich nicht sagen



Das trifft nicht zuletzt auch auf seine eigenen Dichtwerke zu, die im vorliegenden Band grossen Raum einnehmen – ein halbes Hundert lyrischer Versuche aus dem Zeitraum zwischen 1914 und 1970, alles im gleichen Takt vorgetragen, bald politisch engagiert (Sozialismus, Zionismus), bald scherzhaft, beschaulich oder hymnisch intoniert. Die meisten dieser Texte entstammen Scholems Tagebüchern oder Briefen, auf Veröffentlichung waren sie nicht angelegt, künstlerischem Anspruch können sie nicht genügen, bestenfalls als Zeitdokumente (Erster Weltkrieg, Übersiedelung nach Palästina) mögen sie von Interesse sein.



«Was mich bewegt, muss stumm ich in mir tragen», bekennt Scholem 1918 in einem Widmungsgedicht an Walter Benjamin – implizit macht er damit klar, dass er selbst als Lyriker wie auch die Sprache als solche seine innersten Anliegen nicht wiederzugeben vermögen. Diese Einsicht verbindet sich bei ihm mit der Überzeugung, wonach sprachlicher Ausdruck, um sinnbildend zu sein, das Schweigen in sich bewahren, das Verschwiegene mit sich tragen müsse. Dass er die Erforschung der mystischen und kabbalistischen Schriftkultur zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, dürfte darin begründet sein.



Gershom Scholem, Poetica. Schriften zur Literatur, Übersetzungen, Gedichte. Herausgegeben und kommentiert von Herbert Kopp-Oberstebrink, Hannah Markus, Martin Trieml und Sigrid Weigel. Jüdischer Verlag bei Suhrkamp, Berlin 2019. 783 S., Fr. 82.90.



########################################################################



To unsubscribe from the GERMAN-STUDIES list, click the following link:

https://www.jiscmail.ac.uk/cgi-bin/webadmin?SUBED1=GERMAN-STUDIES&A=1

Top of Message | Previous Page | Permalink

JiscMail Tools


RSS Feeds and Sharing


Advanced Options


Archives

April 2024
March 2024
February 2024
January 2024
December 2023
November 2023
October 2023
September 2023
August 2023
July 2023
June 2023
May 2023
April 2023
March 2023
February 2023
January 2023
December 2022
November 2022
October 2022
September 2022
August 2022
July 2022
June 2022
May 2022
April 2022
March 2022
February 2022
January 2022
December 2021
November 2021
October 2021
September 2021
August 2021
July 2021
June 2021
May 2021
April 2021
March 2021
February 2021
January 2021
December 2020
November 2020
October 2020
September 2020
August 2020
July 2020
June 2020
May 2020
April 2020
March 2020
February 2020
January 2020
December 2019
November 2019
October 2019
September 2019
August 2019
July 2019
June 2019
May 2019
April 2019
March 2019
February 2019
January 2019
December 2018
November 2018
October 2018
September 2018
August 2018
July 2018
June 2018
May 2018
April 2018
March 2018
February 2018
January 2018
December 2017
November 2017
October 2017
September 2017
August 2017
July 2017
June 2017
May 2017
April 2017
March 2017
February 2017
January 2017
December 2016
November 2016
October 2016
September 2016
August 2016
July 2016
June 2016
May 2016
April 2016
March 2016
February 2016
January 2016
December 2015
November 2015
October 2015
September 2015
August 2015
July 2015
June 2015
May 2015
April 2015
March 2015
February 2015
January 2015
December 2014
November 2014
October 2014
September 2014
August 2014
July 2014
June 2014
May 2014
April 2014
March 2014
February 2014
January 2014
December 2013
November 2013
October 2013
September 2013
August 2013
July 2013
June 2013
May 2013
April 2013
March 2013
February 2013
January 2013
December 2012
November 2012
October 2012
September 2012
August 2012
July 2012
June 2012
May 2012
April 2012
March 2012
February 2012
January 2012
December 2011
November 2011
October 2011
September 2011
August 2011
July 2011
June 2011
May 2011
April 2011
March 2011
February 2011
January 2011
December 2010
November 2010
October 2010
September 2010
August 2010
July 2010
June 2010
May 2010
April 2010
March 2010
February 2010
January 2010
December 2009
November 2009
October 2009
September 2009
August 2009
July 2009
June 2009
May 2009
April 2009
March 2009
February 2009
January 2009
December 2008
November 2008
October 2008
September 2008
August 2008
July 2008
June 2008
May 2008
April 2008
March 2008
February 2008
January 2008
December 2007
November 2007
October 2007
September 2007
August 2007
July 2007
June 2007
May 2007
April 2007
March 2007
February 2007
January 2007
December 2006
November 2006
October 2006
September 2006
August 2006
July 2006
June 2006
May 2006
April 2006
March 2006
February 2006
January 2006
December 2005
November 2005
October 2005
September 2005
August 2005
July 2005
June 2005
May 2005
April 2005
March 2005
February 2005
January 2005
December 2004
November 2004
October 2004
September 2004
August 2004
July 2004
June 2004
May 2004
April 2004
March 2004
February 2004
January 2004
December 2003
November 2003
October 2003
September 2003
August 2003
July 2003
June 2003
May 2003
April 2003
March 2003
February 2003
January 2003
December 2002
November 2002
October 2002
September 2002
August 2002
July 2002
June 2002
May 2002
April 2002
March 2002
February 2002
January 2002
December 2001
November 2001
October 2001
September 2001
August 2001
July 2001
June 2001
May 2001
April 2001
March 2001
February 2001
January 2001
December 2000
November 2000
October 2000
September 2000
August 2000
July 2000
June 2000
May 2000
April 2000
March 2000
February 2000
January 2000
December 1999
November 1999
October 1999
September 1999
August 1999
July 1999
June 1999
May 1999
April 1999
March 1999
February 1999
January 1999
December 1998
November 1998
October 1998
September 1998


JiscMail is a Jisc service.

View our service policies at https://www.jiscmail.ac.uk/policyandsecurity/ and Jisc's privacy policy at https://www.jisc.ac.uk/website/privacy-notice

For help and support help@jisc.ac.uk

Secured by F-Secure Anti-Virus CataList Email List Search Powered by the LISTSERV Email List Manager