Erregungsmomente: Funktionen des Erotischen in der Literatur
Saarbrücken (Universität des Saarlandes), 26.-28.03.2015
Dr. Juliane Blank (Universität des Saarlandes) und PD Dr. Anja Gerigk
(LMU München)
Ist die Frage nach den Funktionen nicht der sicherste Weg, das Erotische
gerade zu verfehlen? Diese Ansicht mag Erotologen unter den
Literaturwissenschaftlern leiten, wenn sie stattdessen Sinneslust und
Körperliebe als eigenständigen Zweck der Darstellung in literarischen
Texten betrachten (Jablkowska 1993), nicht zu verwechseln mit der
funktionalen Absicht des Pornographischen. Folgerichtig versäumt auch
kaum eine Einleitung zum Forschungsthema ‚Erotik in Literatur und
Ästhetik‘ den Hinweis, dass sich das so bezeichnete Gegenstandsfeld
durch enormen „Facettenreichtum“ (Glaser 1993, 2) auszeichne und dass
deshalb der „schillernde Erotikbegriff“ (Neumann 2008, 13)
einzuschränken sei, auf analytischem Wege oder literarhistorisch enger
gefasst.
Im Umgang mit den literarischen Erscheinungsformen des Erotischen sind
verschiedene wissenschaftliche Strategien nicht nur der Einschränkung zu
beobachten: entweder Entsystematisierung, wie sie sich z.B. in
Sammelbänden ohne Sektionen zeigt, oder theoretische Spezifizierung. Zu
letzteren Sonderfassungen zählen ‚Liebe als Passion‘ (Luhmann 1982),
kulturell markante ‚Szenarien der Liebe‘ wie der coup de foudre (Neumann
2010, 20) oder als „gegenstandslos“ definierte ‚Auto(r)erotik‘
(Keck/Schmidt 1994). Unter die präzisierenden Modelle fallen außerdem
Theorieansätze, die das transgredierende, flottierende Verhalten
erotischer Konfigurationen zugrunde legen: Barthes’ ‚Lust am Text’
(Barthes 1973) und Batailles Überschreitung (Bataille 1957).
Die Tagung schlägt einen dritten Weg vor, welcher Zuordnung erlaubt,
ohne die theoretisch vorgeprägte Entgrenzung zu vernachlässigen: Erotik
als „kulturell gebrochene Sexualität“ (Glaser 1993, 3) präsentiert sich
literarisch-modern als funktional ausdifferenzierend und
entdifferenzierend zugleich. Soziale Systemunterschiede zwischen Kunst
und Erkenntnis, Religion und Ökonomie werden zwar in Anspruch genommen,
aber auch ästhetisch ausgehebelt bzw. überspielt. Das Erotische in der
Literatur wäre ebenso Reflex auf die Gesellschaftsstruktur der Moderne
wie Gegenmaßnahme zur Eindeutigkeit systemischer Funktionen. Um 1800
tritt die Doppeltendenz erstmals offen zutage, daher der Tagungsfokus
auf dieser Phase und den nachfolgenden Epochenschwellen.
Man denke an die „schönste Situation“ in Friedrich Schlegels Lucinde
(1799): Intime Kommunikation entfaltet außer der „Religion der Liebe“
sozialutopische, d.h. politische Perspektiven, darüber hinaus eine
Epistemologie und spezifische Romanform. Das Titelmotiv in Goethes
Wahlverwandtschaften (1809) changiert zwischen Wissenschaft, Poetologie
und Ökonomie des Begehrens. Daraus kann man vorläufig ableiten: In
Textgestalten und komplexen Figuren des Erotischen verdichtet sich
funktionale Ambiguität. Beiträge zur Tagung sind eingeladen, diese
Leitthese zu erproben oder sie kontrovers zu diskutieren.
„Erregungsmomente“ als zugleich anschauliche und abstrahierende
Überschrift möchte das Potenzial des Erotischen als
Untersuchungskategorie hervorheben: den schweifenden Wechsel und das
spektrale Auffächern der Funktionen innerhalb von Text und Kultur. Das
Wort ‚Erregungsmoment‘ taucht in der Ästhetik genauso auf wie in der
Physik oder in romantischer Religionsphilosophie; es bringt schließlich
auch zur Sprache, dass im Kontinuum erotischer Erfahrungen – von der
sinnlichen Affizierung bis zum sexuellen Akt – die jeweils isolierten
Momente auf die gesamte Bandbreite des Möglichen verweisen.
Aus dem breiten Spektrum sollen kurz einige Bereiche herausgegriffen
werden, mit denen sich Beiträge zur Tagung „Erregungsmomente“ befassen
können. Denkbar wären beispielsweise vertiefende Vorträge zu
ästhetischen, religiösen, philosophischen oder zu den
identitätsstiftenden Funktionen des Erotischen in literarischen Texten
vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis heute.
Die programmatischen Akzente der Tagung sollen eine erneute, im
Gegensatz zu früheren Veranstaltungen jedoch deutlich fokussierte
Annäherung an das anthropologische Großthema des Erotischen ermöglichen.
Die Frage nach „Funktionen des Erotischen“ stellt einen epistemologisch
fruchtbaren Rahmen für eine literaturwissenschaftliche
Auseinandersetzung mit dem Thema bereit. Angestrebt wird eine
komparatistische Bestandaufnahme, die zur Basis einer reflektierten,
vernetzten und dadurch produktiven Auseinandersetzung mit dem
„schillernden“, schwer zu fassenden Erotikbegriff werden soll.
Bitte senden Sie Ihre Abstracts mit Themenvorschlägen im Umfang von
maximal 300 Wörtern (ca. 2.500 Zeichen) bis zum 28. Juli 2014 an
folgende Adresse: [log in to unmask] Dem Abstract sind außerdem
ein kurzer Lebenslauf sowie eine Liste ausgewählter Publikationen
beizufügen.
Literaturangaben:
Barthes, Roland: Die Lust am Text [1973]. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1974.
Bataille, Georges: Die Erotik [1957]. München: Matthes & Seitz 1994.
Glaser, Horst Albert: Vorwort. In: Ders. (Hg.): Annäherungsversuche. Zur
Geschichte und Ästhetik des Erotischen in der Literatur. Stuttgart/Wien:
Haupt 1993, S. 1-6.
Jablkowska, Joanna: Die (un)erotische deutsche Literatur. In: Thomas
Schneider (Hg.): Das Erotische in der Literatur. Frankfurt a.M.: Peter
Lang 1993, S. 99-108.
Keck, Annette/Dietmar Schmidt (Hg.): Auto(r)erotik. Gegenstandslose
Liebe als literarisches Projekt. Berlin: Erich Schmidt 1994.
Luhmann, Niklas: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität.
Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1982.
Neumann, Verena: Erotik in der deutschsprachigen Lyrik der Moderne.
Würzburg: Königshausen & Neumann 2008.
Neumann, Gerhard: “Erklär mir, Liebe”. Eros auf der Schwelle zum 21.
Jahrhundert. In: Karl Heinz Götze/Katja Wimmer (Hg.): Liebe in der
deutschsprachigen Literatur nach 1945. Frankfurt a.M.: Peter Lang 2010,
S. 17-32.
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Dr. Juliane Blank
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Universität des Saarlandes
FR 4.1 - Germanistik
Gebäude C 5.2, Raum 5.31
Telefon: 0681-302 4071
Managing Editor KulturPoetik
Zeitschrift für kulturgeschichtliche
Literaturwissenschaft
www.kulturpoetik.de
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