Das Ziel der von Charlotte Lee (Cambridge), Lore Knapp (Bielefeld) und Katharina Engler (Berlin) organisierten Tagung „Embodied Cognition in the Goethezeit“, die vom 14.-15. September 2015 im Murray Edwards College der Universität Cambridge stattfand, war es, möglichen Übereinstimmungen zwischen intellektuellen Strömungen im deutschen Sprachraum zwischen 1750 und 1830 und den Ergebnissen moderner Kognitionswissenschaften nachzugehen, die eine Verflechtung von Intellektuellem und Physischem in Bezug auf die Wissensgewinnung postulieren. Die Zeit um 1800 scheint sich für ein solches Unterfangen in besonderem Maße zu eignen. So finden sich in dieser Zeit nicht nur die ersten kognitionswissenschaftlichen Ansätze (Phrenologie, Magnetismus) sondern es findet sich darüber hinaus eine große Zahl von literarisch Schaffenden, die auch wissenschaftliche Interessen verfolgen: Goethe ist nur das bekannteste Beispiel, aber auch viele romantische Autoren, von Novalis und Karl Philipp Moritz bis zu E.T.A. Hoffmann und Chamisso sind an wissenschaftlichen Fragestellungen interessiert. Der holistische Ansatz der frühen Anthropologie resoniert mit Entwicklungen der Ästhetik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunders. Etwa spiegelt sich in Goethes Formulierung vom „Auge des Geistes“ das neu erwachende Interesse an der Rolle der Sinne im Denkprozess.
Nicholas Boyle (Cambridge) stellte in seinem die Tagung eröffnenden Beitrag „Embodied Cognition: Goethe’s Colour Theory as Phenomenology“ Goethes Farbenlehre ins Zentrum. Boyle zufolge ist für Goethe das menschliche Auge kein passiver Empfänger von Licht, sondern es spielt eine aktive Rolle bei der Farberzeugung. Farbe wird folglich nicht als eine dem Objekt zukommende Qualität aufgefasst (wie es, aus Goethes Sicht, Isaac Newton behauptet hatte), sondern vielmehr als eine physiologisch erzeugte Erfahrung des Betrachters. Farbe darf Boyle zufolge jedoch nicht allein als eine private, individuelle Bildung verstanden werden. Sie ist auch aktiv, so aktiv wie das Sehvermögen selbst: Farbe kann dabei als eine äußere Energie verstanden werden, die mit der inneren zusammenfällt. Boyle machte deutlich, dass im Kontext von Goethes Farbtheorie Embodied Cognition die Vermittlung zwischen den universellen Naturgesetzen und der individuellen Körpererfahrung beschreiben kann. Goethes Farbenlehre kann auf diese Weise als eine Phänomenologie des Körpers verstanden werden.
Jutta Müller-Tamm (Berlin) arbeitete in ihrem Vortrag „,Ueber die Zertheilbarkeit des Ich’s im Menschen‘. Heautognosie, Körper und Selbstbewusstsein um 1800“ eine These des Anthropologen Franz von Paula Gruithuisen (1774-1852) heraus, die sich die Annahmen von Embodied Cognition neuropädagogisch zunutze zu machen sucht. Müller-Tamm zufolge führt die Annahme einer Verkörperung von Intellekt und Subjekt in der Wissenschaft des frühen 19. Jahrhunderts auf der Grundlage neuer neurophysiologischer Erkenntnisse zur Utopie einer Optimierbarkeit des Menschen. Auf die Physiologen Johann Christian Reil und Xavier Bichat Bezug nehmend, kritisiert Gruithuisen das Subjekt des Idealismus und entwickelt ein Alternativkonzept, in welchem das Ich als in die Bereiche Bewusstsein und Wahrnehmung aufgegliedert gedacht wird. Seine Beobachtung der menschlichen Fähigkeit, mehrere Tätigkeiten gleichzeitig zu verrichten sowie seine Erforschung der biologischen Struktur des Gehirns führt Gruithuisen, so Müller-Tamm, unter anderem zur Annahme der Möglichkeit einer Intelligenzsteigerung des Menschen.
In ihrem Tagungsbeitrag „Jean Pauls Empfindbilder“ ging Monika Schmitz-Emans (Bochum) dem Konzept des Empfindbildes nach, das Jean Paul in seinem Aufsatz Blick in die Traumwelt von 1814 entwickelt und einerseits von der sinnlichen Wahrnehmung und andererseits von bewussten mentalen Vorstellungen (Vorstellbilder) unterscheidet. Schmitz-Emans zufolge lokalisiert Paul das Empfindbild in einem Bereich zwischen den vom Bewusstsein kontrollierten Vorstellbildern und den unkontrollierbaren Regungen des Unbewußten und weist ihm so die zeitliche Zwischenphase träumerischen Imaginierens zu zwischen Wachsein und Schlaf. Im Unterschied zu Vorstellbildern, die als flach und entfernt beschrieben werden, zeichnet sich das Empfindbild durch Plastizität, Nähe und Lebendigkeit aus. Unter produktionsästhetischer Akzentuierung wird das Konzept des Empfindbildes insofern relevant, als Jean Paul das Schaffen des Dichters als eine Art Transkription von Empfindbildern beschreibt. Der Dichter müsse, so Paul, seine Gestalten lebendig vor sich sehen – und dann aufschreiben, was sie ihm sagen. Schmitz-Emans zufolge handelt es sich hierbei um eine poetologische Utopie, da der Leser nur mittelbar an den Empfindbildern des Dichters teilhaben kann.
Kommentar: Annja Neumann (Cambridge)
Terence Cave (Oxford) skizzierte in seinem Beitrag „Dancing with Marionettes: A Case-Study from the Cognitive Archive“ am Beispiel von Heinrich von Kleists Text Über das Marionettentheater Ansätze zu einer Sammlung textueller Schilderungen des menschlichen Denkens. Cave machte deutlich, dass Kleists Reflexionen über das Marionettentheater ein wichtiges Problem berührten, dem sich auch die Literaturwissenschaft gegenübersehe: Wie ist es möglich, dass fiktionale Figuren aus Rezipientenperspektive lebendig werden trotz der offensichtlichen Fiktionalität ihrer Repräsentation (Mimesis)? Es wurde im Beitrag für eine erneute Auseinandersetzung in diesem Punkt plädiert. Cave formulierte das Phänomen als ein kognitives Problem und zog Parallelen zu diesbezüglichen Bemühungen der Kognitionswissenschaften, vor allem in den Bereichen der ‚extended‘ bzw. ‚distributed‘ cognition und der ‚kinesic intelligence‘. Ein literarisches Archiv des Denkens könne laut Cave unter anderem auch interdisziplinär von Nutzen sein.
Der aus dem Französischen ins Deutsche übernommene Begriff „Takt“ verweist sowohl auf Tastsinn und Fingerspitzengefühl, als auch auf den musikalischen Taktbegriff. Caroline Torra-Mattenklott (Bern) formulierte in ihrem Beitrag „Blindheit und Takt in Goethes Wahlverwandtschaften“ die These, dass beide Bedeutungen in der literarischen Gestaltung der Wahlverwandtschaften zur Entfaltung kommen würden. Mit diesem Ansatz nahm Torra-Mattenklott Bezug auf Heinrich Theodor Rötscher, der bereits 1838 eine Analyse der Figur Charlotte zum Anlass für einen Exkurs über den gesellschaftlichen Takt nahm. In Rötschers Theorie des Taktes vermischen sich das Konzept der Intuition als unmittelbarer Anschauung mit einer auf höfische Ideale zurückgehenden Verhaltenslehre. Goethe beziehe, so Torra-Mattenklott, den Begriff auf den gesellschaftlichen Umgang ebenso wie auf das ästhetische Urteilsvermögen, das philologische Feingefühl und das empirische Urteil in den Naturwissenschaften. In den Wahlverwandtschaften würden diese verschiedenen Wirkungsfelder des Takts ebenfalls auseinandergelegt, allerdings ohne dass der Begriff dabei explizit genannt würde.
Kommentar: Katharina Engler (Berlin)
Gerhard Lauer (Göttingen) interpretierte in seinem Beitrag „Die Erhebung des Körpers durch die Musik – eine romantische Erfindung“ Eichendorffs Gedicht „Mondnacht“ (1837) als eine späte Anspielung auf die literarische Romantik. Lauer zufolge arbeitet dieses Gedicht mit poetischen Techniken, die beim Rezipienten eine körperliche Transzendenzerfahrung hervorrufen sollen. Die Vertonung des Gedichts durch Robert Schumann (1840) verdoppelt in Lauers Deutung die Wirkung dieser Techniken. Unter Verwendung von zur Entstehungszeit neuartigen Harmonien komponiere Schumann ein Kunstlied, das gleichzeitig die gegensätzlichen körperlichen Gefühle von Innerlichkeit und Ausdehnung hervorrufe. Lauer sprach in diesem Zusammenhang von der Intention einer out-of-body-Erfahrung beim Rezipienten, die durch die gezielte Lenkung der Konzentration des Rezipienten auf die Musik ermöglicht werden solle. Lauer unterstrich seine Ausführungen mit einer harmonischen Analyse der Schumannschen Vertonung.
Martin Danneck (Basel) stellte in seinem Tagungsbeitrag „Johann Gottfried Herders Forderung einer Berücksichtigung der musikalischen Aspekte von Sprache in Wissenschaftstexten“ die These auf, dass sich in Herders Reflexionen zur Poetik des Wissenschaftsstils implizite Hinweise auf eine Forderung finden ließen, den musikalischen Aspekt von Sprache im Stil wissenschaftlicher Prosa zu berücksichtigen. Das von Herder im Konzept der „schönen Prose“ beschriebene Stilideal einer holistischen, die Möglichkeiten der Sprache ausschöpfenden Wissenschaftssprache sieht die Synthese rationallogischer und poetischer Stilanteile vor. Der semantisch denotative Anteil dieses Stilideals wird dem Bildaspekt der Sprache zugeordnet, der poetische Anteil dem Klangaspekt. Poetische Sprache bestimmt Herder dabei als einen Sprachmodus, der den musikalischen Sprachaspekt markiert, indem er die phonische Korrespondenz zwischen Signifikat und Signifikant hervortreten lässt und so die sprachklangvermittelte Beziehung zwischen Mensch und Welt betont. Die Integration poetischer Anteile im Konzept der „schönen Prose“ interpretierte Danneck folglich als implizite Forderung, die musikalischen Elemente in der Sprache wissenschaftlicher Texte zu berücksichtigen.
Kommentar: John Guthrie (Cambridge)
Nadja Tschentscher (Cambridge) gab mit ihrem Beitrag „Embodied Cognition in Neuroscience“ einen Einblick in Ansätze der Neurowissenschaften, die sich mit Embodied Cognition befassen.
Ausgehend von der Annahme, dass semantisches Wissen von der Art und Weise bestimmt wird, wie Individuen die Welt wahrnehmen und mit ihr interagieren, stellte Tschentscher zunächst Ansätze aus den kognitiven Neurowissensschaften vor, die Theorien der embodied semantics in der Wachstumsphase untersuchen. Hier geht man davon aus, dass während des Erwerbs semantischen Wissens in der Kindheit neuronale Verbindungen zwischen Gehirnsystemen verstärkt werden, die die Verarbeitung von Semantik unterstützen sowie Gehirnsystemen, die basale Wahrnehmungsmechanismen und die Motorik unterstützen. Vor allem bei konkreten Wörtern konnte eine Interaktion von Gehirnsystemen festgestellt werden, die für motorische Aktivitäten und semantisches Wissen zuständig sind. Auf abstrakte Wörter ließen sich diese Erkenntnisse bislang nur in Ansätzen übertragen. Tschentscher machte auf die diesbezüglichen Probleme aufmerksam und skizzierte mögliche Szenarien, mit denen sich die Annahmen der embodied semantics auch auf Abstrakta übertragen ließen.
Diskussion mit einführenden Kommentaren durch Katharina Engler (Berlin), Charlotte Lee (Cambridge) und Lore Knapp (Bielefeld)
Raphael Lyne und Timothy Chesters (beide Cambridge) in ihren Beiträgen „Perspectives from the Renaissance / Cognitive Approaches to Literature“ Einblicke in Mind/Body-Ansätze aus der anglistischen und romanistischen Forschung. Es wurde das Problem diskutiert, wie Literatur und Literaturwissenschaft mit dem psychologischen Konzept von Impulsivität zusammengebracht werden kann. Außerdem wurde auf die miteinander verbundenen psychologischen Problemfelder „extended mind“, „distributed cognition“ und „cognitive ecology“ vor dem Hintergrund literaturwissenschaftlicher Ansätze eingegangen. Die Beiträge setzten sich auch mit Gründen für die Beliebtheit von kognitiven Ansätzen im Bereich der Renaissance-Studien auseinander.
Lore Knapp (Bielefeld) verglich in ihrem Beitrag „Sinnliche Erkenntnis: Henry Home vs. Baumgarten“ zwei Theorien sinnlicher Erkenntnis. Alexander Gottlieb Baumgarten folgt in seiner Aesthetica (1750, 1758) der Tradition des metaphysisch begründeten Rationalismus. Vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit Leibniz definiert er die sinnliche Erkenntnis als „Gesamtheit der Vorstellungen, die unter der Deutlichkeit verbleiben“ (Aesthetica § 17). Sein Forschungsziel ist die Erkenntnis vollkommener Wahrheit und Schönheit innerhalb eines metaphysischen Weltbildes. Henry Home, der in der erkenntnistheoretischen Tradition des britischen Empirismus steht, lehnt den Gedanken angeborener Ideen ab und geht mit Locke davon aus, dass äußere und innere Sinneswahrnehmungen die Grundlage jeglicher intellektueller Vorgänge sind. In Elements of Criticism (1762) stellt Home die These auf, dass die Grundsätze der schönen Künste den Empfindungen und Leidenschaften entstammen. Während Baumgarten einem metaphysischen Schönheitsbegriff folgt, ist für Home Schönheit rezeptionsabhängig. Home argumentiert teleologisch, indem er den Künsten das Potenzial zuspricht, das gesellschaftliche Glück zu steigern.
Helen Slaney (Oxford) vertrat in ihrem Tagungsbeitrag „Herder’s Haptic Aesthetics“ die These, dass Johann Gottfried Herder in der Schrift Plastik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions bildendem Traume (1778) für die Wiedergewinnung eines bewusst wahrgenommenen Bewegungssinns plädiert. Das somatosensorische System des Körpers erhält externe Stimuli, überprüft aber auch kontinuierlich seine eigene interne Verfasstheit. Es wertet propriozeptive Signale aus wie zum Beispiel die Muskelspannung, den Winkel der Gelenke oder die relative Position der Körperteile. In Verbindung mit dem Gleichgewichtsorgan trägt Propriozeption zum Bewegungssinn bei. Meist läuft dieser Prozess unbewusst ab; lediglich in Aktivitäten, die eine gesteigerte propriozeptive Aufmerksamkeit erfordern, lenken wir unsere Aufmerksamkeit nach innen. Für die Beschreibung von Herders Konzept der fühlenden Einbildungskraft griff Slaney auf den Begriff des Enaktivismus zurück. Während Embodied Cognition die Interaktion physischer Systeme im wahrnehmenden Subjekt betone, impliziere Enacted Cognition den zusätzlichen Faktor der Bewegung. Denken, so Slaney, entstehe nicht innerhalb eines abgeschlossenen kognitiven Bereichs, sondern innerhalb eines sich bewegenden Körpers.
Kommentar: David Midgley (Cambridge)
Jerome Carroll (Nottingham) arbeitete in seinem Beitrag „Eighteenth Century Departures from Dualism: From Mechanism and Animism to Anthropology and the Science of Man“ die Spannung heraus, die zwischen dem vornehmlich physikalischen, naturalistisch argumentierenden Ansatz und
dem mehr holistischen Interesse anthropologischen Denkens besteht. Carroll zeichnete zu diesem Zweck die wichtigsten theoretischen Ansätze des 18. Jahrhunderts nach, die das Denken über die Verfasstheit der menschlichen Natur bestimmten. Es wurde deutlich, dass der theoretische Kontext der Anthropologie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach wie vor von den Parametern des cartesianischen Dualismus bestimmt ist. Carroll zeigte auf, dass den ontologischen Postitionen des Mechanismus sowie des Animismus, die auf dualistischen Annahmen basieren, ein dezidiert holistischer Vitalismus gegenübertritt, der als eine Art Antwort auf dualistische Ansätze zu verstehen sei. Carroll sprach in diesem Zusammenhang von einer antidualistischen ontologischen Wende.
In ihrem Beitrag „What Do We Mean When We Speak About the Body Politic? Turnvater Jahn and the Concept of Embodiment“ setzte sich Marion Kant (Cambridge) mit dem von Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) propagierten Turnen auseinander. Kant portraitierte die Theorie und Praxis des Turnens als eine der simpelsten und krudesten Formen von embodiment: Jahn zufolge, so erläuterte Kant, wäre Bewegung das beste Mittel, um nationalistisches Gedankengut in deutschen Körpern zu implementieren. Jahn ging also von einer direkten Wechselwirkung aus zwischen körperlicher Ertüchtigung und nationalistischer Gesinnung: Aus Gymnastik übenden Männern würden Patrioten, die ihren Nationalismus wiederum physisch verkörperten. Kant stellte vor diesem Hintergrund die Tendenz der Forschung in Frage, Jahn im Kontext der liberalen Kräfte des 19. Jahrhunderts zu verorten. Das Ideal eines gesunden und starken männlichen Patriotenkörpers sei, so Kant, eher auf Unterwerfung und Tat aus, denn auf Kontemplation und das Infragestellen doktrinärer und dogmatischer Autoritäten. Jahns System interessiere sich folglich nicht für die schwächeren Teile einer Gesellschaft, sondern propagierte eine ausgeprägte Geschlechterungleichheit sowie die Abneigung gegen alles Nicht-Deutsche.
Kommentar: Angus Nicholls (London)
John H. Smith (Irvine) ging in seinem Beitrag „You Are What You Will: Schopenhauer, Facial Recognition and Affective Computing“ der Frage nach, was für ein Wissen der Gesichtsausdruck enthält. Dabei schlug Smith einen Bogen von Affective Computing zurück zur Physiognomik des späten 18. Jahrhunderts. Ein Schwerpunkt bildete die Auseinandersetzung mit Schopenhauer. Dieser betrachte den Körper einerseits als unmittelbare Objektivation des Willens. Andererseits gehe Schopenhauer aber auch von einer Differenz zwischen moralischem Charakter und seinem äußerlichen Ausdruck im Gesicht aus. Smith schlug als Lösung dieses Widerspruches vor, die Beziehung zwischen dem noumenalen und dem phänomenalen Selbst als eine infinitesimale Differenz zu begreifen. Das produktive Paradox des unendlich Kleinen, so Smith, erlaube es, die unüberbrückbare Distanz zwischen dem zu begreifen, was die Wissenschaft in Gesichtern lesen kann und dem letztlich unerkennbaren metaphysischen Selbst.
Charlotte Lee (Cambridge) ging in ihrem Beitrag „Movement and Embodiment in 18th Century Poetry“ dem Verhältnis von Körper, Klang, Bewegung und Rhythmus in der Dichtung des 18. Jahrhunderts nach. Insbesondere in Klopstocks Dichtung sei im Sinne einer Embodied Cognition avant la lettre eine enge Beziehung zwischen Körper und Dichtung festzustellen. Lee schlug in diesem Zusammenhang vor, neben die Klopstockschen Termini „Hebung“ und „Senkung“, die das Steigen und Fallen der deklamierenden Stimme bei der Wortbetonung im Sinn haben, auch die Begriffe „Druck“ und „Gewicht“ zu berücksichtigen, die auf die physischen Voraussetzungen stimmlicher Tonhöhenveränderung verweisen. So sei der tonale Anstieg auf eine Intensivierung von physischem Gewicht oder Druck in Brust oder Unterleib angewiesen, das tonale Absinken auf ein Lösen von physischem Druck. In einem zweiten Teil ihres Vortrags veranschaulichte Lee diese These in Analysen des Klopstockschen Gedichtes Der Eislauf (1764), der Klopstockschen Ode Der Bach (1771) sowie Goethes Lied und Gebilde aus dem West-östlichen Divan.
Kommentar: Kevin Hilliard (Oxford)
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