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GERMAN-STUDIES  June 2004

GERMAN-STUDIES June 2004

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Troja zum Lesen und Hoeren

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Karin Preuss <[log in to unmask]>

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Karin Preuss <[log in to unmask]>

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Thu, 3 Jun 2004 16:15:30 +0200

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Stillleben mit Buch

Troja, zum Lesen und Hören

Wer Homer deutsch lesen will, hat die Wahl zwischen
Voß, Schadewaldt und Hampe. Johann Heinrich Voß hat
die Odyssee 1781, die Ilias 1793 übersetzt. Das ist
lange her, schwerer wiegt aber, dass die sprachliche
Sozialisation, die Voß erfuhr, im bäuerlich
niederdeutschen Bereich geschah. Voß ist ungefähr
gleichaltrig mit Goethe, etwas jünger sogar, nahm
aber, hierin zeitlebens seinem großen Vorbild
Klopstock treu und mit dem Alter geradezu eifersüchtig
wie sein Idol, keinen Anteil an der gleichzeitigen
städtischen und quasi großstädtischen
Sprachentwicklung, wie sie Goethe und dann die jungen
Romantiker vorantrieben. So lässt sich erklären, dass
die Shakespeare-Übersetzung von Schlegel und Tieck,
die nur vier Jahre nach Voß’ Ilias begann, nahezu
völlig jenes Deutsch hat, das wir als das unsere
empfinden, während die Sprache, in der uns Homer bei
Voß begegnet, etwas gleichzeitig Rührendes und
Vergangnes an sich hat. Natürlich kann keiner etwas
dafür, wenn sich die Sprache anders entwickelt, als
er’s geglaubt hat; aber sie tat es, und mit einem Male
saßen Klopstock und die Seinen abseits, ein bisschen
wie damals die Neandertaler.

Hängen blieb das ganze Unglück an Homer und dem
Hexameter, alle Bemühungen brachten im Grunde nichts,
und ein Mann wie Rudolf Alexander Schröder, mit der
seinerzeit bewunderten Odyssee von 1910 und der Ilias
dann von 1943, ersetzt eigentlich auch nur die
gleichsam naturwüchsigen Archaismen, mit denen Voß
uns, ohne das zu wollen, vom Text immer wieder
ablenkt, durch künstlich oder besser wohl
kunstgewerblich eingesetzte und oft richtiggehend
ausgegrabene Altertümlichkeiten, mit denen er uns
unausstehlich nervt. 

Remedur schuf der große Philologe Wolfgang Schadewaldt
mit seiner Odyssee von 1958 und der Ilias von 1975.
Schadewaldt verzichtete von vornherein auf den
Hexameter (gegen den, seit Hölderlin und Goethe,
nichts einzuwenden war; bloß für Homer war er
problematisch geworden) und übertrug die Odyssee in
eine leicht und unauffällig rhythmisierte Prosa. Als
1958 seine Odyssee herauskam, war für seine Leser
nicht bundesdeutsche Grün- der-, sondern Nachkriegs-,
erste Friedenszeit, alle waren lieb und lasen ihren
Liebsten diesen Homer vor und erzogen ihre Kinder ohne
Bleisoldaten. Es ist hübsch, wie heute aus
Schadewaldts schön fließender Prosa dieser milde Geist
zu uns zu sprechen scheint, so sehr, dass wir kaum
merken, dass Odysseus am Schluss völlig in der Manier
von Charles Bronson fast alle Leute einfach umbringt.

Kurz vor seinem Tod vollendete Schadewaldt die Ilias,
und es scheint, als habe er nun alle Bedenken, alle
auch nur unbewussten Rücksichten fahren lassen. Statt
der rhythmisierten Prosa nimmt er jetzt freie,
unregelmäßig rhythmisierte Verse, deren jeder einem
Hexameter Homers entspricht. Noch deutlicher hält er
sich jetzt an den griechischen Satzbau, die Verse
haben eine viel offenkundigere Fremdheit als je zuvor,
und zusammen mit ihrem wild flutenden Rhythmus ergibt
das nach kurzer Zeit und dann auf die Dauer einen
Sprachduktus, den das Deutsche noch nie hatte. Diese
Ilias stieß damals durchaus nicht auf die
Begeisterung, die Schadewaldts Odyssee hervorgerufen
hatte, aber ich glaube, man könnte langsam sehen, dass
seine Ilias eine der großen Hervorbringungen der
deutschen Literatur des ausgegangenen Jahrhunderts
war.

Roland Hampe in seinem Homer von 1979 hat sich über
die Reclamhefte einen großen Marktanteil erobert. Er
greift, so wird das immer ausgedrückt, wieder auf den
Hexameter zurück, und das stimmt. Angesichts seiner
irgendwie selbst gebastelten Verse kann man nur sagen,
was Mörike einmal unter dem Titel Schul-Schmäcklein
notiert hat: „Ei ja! Es ist ein vortrefflicher Mann,
wir lassen ihn billig ungerupft; aber seinen Versen
merkt man an, dass der Verfasser lateinisch kann und
schnupft.“ 

Aber seit wir Schadewaldt haben, sind wir fürs Erste
alle Sorgen eines deutschen Homers wegen ganz los, und
auch die, die gern, wie damals, lieber zuhören, wenn
einer ihnen solche Epen erzählt, können sich jetzt
davon überzeugen: Rolf Boysen liest auf sechs CDs rund
siebeneinhalb Stunden aus Schadewaldts Ilias vor, in
großem Ton, getragen, pathetisch fast, weit aus- und
Atem holend wie vor Mengen von Leuten – gekürzt das
Ganze, leider auch um den gerade bei Schadewaldt
grandiosen so genannten Schiffskatalog, aber sehr
schön. Mit so einem Homer können wir uns glücklich
schätzen. Rolf Vollmann 

Homer, von Voß übersetzt:

etwa bei Artemis & Winkler, bei Diogenes, Goldmann,
Insel, dtv

Homer, von Hampe übersetzt:

bei Reclam, „Odyssee“ 6,60 Euro, „Ilias“ 8,10 Euro

Homer, von Schadewaldt übersetzt:

„Ilias“ als Inseltaschenbuch

„Odyssee“ bei Artemis & Winkler

„Ilias“ als CD beim Hörverlag, München




	

	
        	
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