Source: <http://www.dslondon.org.uk/akt_detail_two.htm>.
________________________________________________
DEUTSCHE SCHULE LONDON 2004
ÜBERSETZUNGSWETTBEWERB XXV
- sponsored by Oxford University Press -
Übersetzungstext 2004
Eine Biographie des Chefs
Eine Zeitlang hatte ich insgeheim die Absicht gehegt, eine Biographie
des Chefs zu schreiben. Der kleine Mann von der Straße, ein Mann des
Volkes, steigt zum Herrscher über ein ganzes Firmenimperium auf. Ich
war mir irgendwann bewußt geworden, daß ich den Chef trotz – oder
wegen? – seiner brutalen Art bewunderte. Es hatte mir sogar gefallen,
unter seiner Führung einen Platz gefunden zu haben. Er hatte es zu
etwas gebracht. Daß er dabei nicht ohne Härte hatte bleiben können, war
mir plausibel erschienen. Anders gesagt, ich hatte ihn abgelehnt und
gemocht. Mir gegenüber hatte er sich immer gewogen gezeigt. Warum hätte
ich ihm meine Dankbarkeit nicht erweisen sollen! Eine Biographie des
Chefs hätte zudem meine Position gegenüber Qualle, Dogge etc. gestärkt.
Die Schwierigkeit eines solchen biographischen Vorhabens hatte ich mir
allerdings nicht verhohlen. Es wäre zum Beispiel nötig gewesen, eine
einleuchtende Erklärung dafür zu finden, daß der Chef nie etwas
Richtiges gelernt hatte: Die soziale Situation in seiner Jugend hätte
eine geregelte Ausbildung nicht erlaubt. Seine Tätigkeit als
Rausschmeißer in zwielichtigen Hafenkneipen und in Bordellen wäre
entsagungsvolle Arbeit als Nachtportier gewesen, deren Entlohnung
gerade zu einem Dasein am Rande des Existenzminimums gereicht hätte.
Den Bankraub hätte ich regelrecht als revolutionären Akt beschreiben
müssen: Er nahm von den Reichen und gab es den Armen! Die
Zuchthausstrafe wäre als Rache einer mißliebigen Justiz zu verstehen ge-
wesen. Die Zeit der Abgeschiedenheit in der Haft hätte dem Chef seine
Bestimmung als Geschäftsmann finden helfen. Daß der Chef in jungen
Jahren gerne zu Preisboxveranstaltungen gegangen und sogar selber als
Preisboxer aufgetreten war, hätte leicht als Vorliebe für eine gesunde
sportliche Lebensweise gedeutet werden können, deren er sich auch
später befleißigt hatte, zum Beispiel auf dem Gebiet des Auto-
Rennsports, womit die Verfolgungsjagden zu interpre-tieren gewesen
wären, oder des Schießsports, wodurch die Schießereien mit der Polizei
eine Erklärung gefunden hätten. Seine Sorge um die alten Kumpane hätte
jedermann als Ausdruck der Solidarität mit den unterprivilegierten
Bevölkerungsschichten nahegebracht werden können. Die Primitivität und
Skrupellosigkeit des Chefs hätte ich als Kennzeichen brillanter
Persönlichkeitsstärke verstanden. Die Neigung des Chefs zu
Schunkelliedern, Pornofilmen und Striptease wäre genauso als beredtes
Merkmal eines kunstsinnigen Verstandes deutbar gewesen wie seine große
Liebe zu Blumen, die er stets in größeren Mengen zu den Beerdigungen
seiner Opfer hatte schicken lassen.
(H. J. Schädlich, Trivialroman).
Wettbewerbsbedingungen
DEUTSCHE SCHULE LONDON
ÜBERSETZUNGSWETTBEWERB XXV
- sponsored by Oxford University Press -
I. Beim 25. Übersetzungswettbewerb ist ein Text von Hans Joachim
Schädlich ins Englische zu übertragen. Es handelt sich um einen
Ausschnitt aus dem Roman »Trivialroman«, der 1999 erschien.
II. Teilnahmeberechtigt sind Schüler und Studenten in Großbritannien
und Irland (einzeln oder in Gruppen bis zu 6 Teilnehmern). Bis zum
20.03.2004 (Datum des Poststempels) sind die (bitte mit Maschine
geschriebenen) Übersetzungen einzusenden an: Deutsche Schule London,
Übersetzungswettbewerb, Elisabeth Lücking, Douglas House, Petersham
Road, Richmond, Surrey TW10 7AH.
III. Die Jury wird bis zum 16.04.2004 die besten Arbeiten auswählen und
die Gewinner benachrichtigen. Die Entscheidung der Jury ist
unwiderruflich und vertraulich. Die Übersetzung des ersten Preisträgers
wird veröffentlicht.
IV. Die ersten drei Gewinner erhalten Geldpreise in Höhe von £100, £50,
£30 und werden zur Dichterlesung mit Hans Joachim Schädlich am 23.
April 2004 in der Deutschen Schule eingeladen. Zusätzlich erhalten sie
sowie alle Teilnehmer der Endrunde ein Exemplar des OUP Concise Oxford-
Duden German Dictionary.
V. Die Einsendungen sollen neben der Übersetzung folgende Angaben
enthalten: Name(n) des bzw. der Übersetzer, Alter, lernt Deutsch seit
......, derzeitiger Deutschlehrer bzw. Dozent, Schule bzw. College,
Adresse und Telefon des Einsenders. Am Ende der Arbeit soll Folgendes
bestätigt werden: „Ich versichere (Wir versichern), dass ich (wir) die
Übersetzung selbstständig angefertigt habe(n).“ Da die Übersetzungen
für die Juroren mehrmals kopiert werden müssen, wird darum gebeten, mit
engem Zeilenabstand zu schreiben.
VI. Der 24. Übersetzungswettbewerb der Deutschen Schule wurde am 20.
Juni 2003 bei einer Veranstaltung mit Ulrike Draesner im Forum der DSL
mit einer Preisverleihung abgeschlossen. Die Aufgabe und die beste
Lösung finden sich auf der Rückseite dieses Faltblatts. Wir danken der
Jury für ihre Arbeit und den zahlreichen Schülern, Studenten und
Germanisten für ihre Teilnahme und ihr Interesse.
VII. Im Februar 2004 wird das 25. Londoner Leseheft, das Hans Joachim
Schädlich gewidmet sein wird, erscheinen. Dank der Unterstützung des
Projekts durch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland können auch
diesmal britische Germanisten bei der Deutschen Schule London
Schülerexemplare bestellen.
Richmond, den 12. Oktober 2003
Elfriede Bonath-Kühnberger, Gerhard Häußler, Frank Heuser, Rita
Hoffmann, Ursula Köhncke, Elisabeth Lücking, Maureen Metzger, Roland
Ottenbreit, Jutta Özsen, Alexandra Rußwurm, Christiane Thibaut.
Deutsche Schule London
|