Liebe Frau Philburn,
>
> die Regeln der herkömmlichen Orthographie kamen nicht auf dem
> Verordnungswege zustande, sondern dadurch, daß historisch gewachsene
> Strukturen beschrieben und in Regeln gefaßt wurden.
Das stimmt nur zum Teil. Viele Woerter wurden eingedeutscht (etwa Zirkus,
usw), bei denen es vorher ueblich gewesen war, sie mit c zu schreiben. Also
spielten z.B. ideologische Entscheidungen eine Rolle in der Diskussion.
Diese Konferenz
> dauerte übrigens nur drei Tage, und die daraus resultierende Neuregelung
> füllte ganze drei Buchseiten.
Ja, und wie man Ihrem ersten Absatz entnehmen kann - wo Sie ganz richtig
schrieben "Der Wunsch des Duden nach möglichst präzisen Regelungen führte
leider zu einer wachsenden und unüberschaubar werdenden Zahl von
Einzelfestlegungen" war dises Regelwerk zu knapp und konnte die moderne
Sprache nicht mehr adequat beschreiben.
> Es verwundert deshalb nicht, daß die Bevölkerung der neuen
> Rechtschreibung nach wie vor skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. Eine
> neuere Emnid-Umfrage vom August dieses Jahres zeigte, daß nur 13.7 % der
> Bevölkerung die neue Rechtschreibung als Erleichterung empfinden und sie
> deshalb befürworten.
Natuerlich: das ist naemlich bei jeder Veraenderung so. Sie werden, wenn
sie hier mit 'aelteren' Menschen sprechen (ueber 40?), festellen, dass sie
nicht viel Ahnung vom metrischen Masssystem haben, und dieses auch nicht
befuerworten. Bei noch aelteren Menschen findet man noch Sehnsucht nach dem
alten Geld.
Wer
> heute die ‘neue’ Rechtschreibung beherrschen will, wird um eine intensive
> Auseinandersetzung mit den neuen Regeln, verbunden mit häufigem
> Nachschlagen, nicht umhinkommen.
Hoechstens dann, wenn man die alten Regeln schon kennt - was bei Kindern ja
nicht der Fall ist. Aber selbst fuer uns Erwachsene gibt es gute
Nachschlagewerke, wo man i-Punkt und Kaenguru findet, ohne lange ueber
Regeln nachdenken zu muessen.
Häufiges Lesen wird ebenfalls nicht zur
> Einprägung der ‘neuen’ Orthographie führen, weil es fast unmöglich ist,
> die Vielzahl von Mischorthographien, wie sie heute existiert,
> auseinanderzuhalten.
Weil manche Leute versuchen, einen Erfolg der neuen Rechtschreibung
moeglichst zu verhindern. Daran ist nicht die neue Rechtschreibung schuld,
sondern die sturen Journalisten.
Jacob Grimm schrieb uebrigens zur Rechtschreibung
'alles oder das meiste scheiterte an dem pedantischen sinn der deutschen,
die jeder edlen neuerung einen haufen kleinlicher gruende entgegen zu
setzen gewohnt sind.'
Und dreissig Jahre frueher sagte Johann Christoph Adelung:
'Es ist ueber diesen Gegenstand seit anderthalb hundert Jahren so viel
gesprochen und geschrieben worden, dass man es einem ehrlichen Manne kaum
zumuthen kann, noch eine Zeile mehr darueber zu lesen.'
Am besten nehmen wir diesen Spruch jetzt beide zum Anlass, jetzt
aufzuhoeren.
Mit freundlichen Gruessen
Sheila Watts
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Dr Sheila Watts
University Lecturer in German
G06 Kennedy Building
Newnham College
Cambridge CB3 9DF
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