Interessanter Artikel, der zeigt: Manche Kritiker der so genannten "Migranten-Literatur" - oder wie sie auch immer heißen mag - tappen bis heute einfach immer wieder in die Biografismus-Falle... ( In der Literaturwissenschaft jedenfalls hat der Biografismus seit dem letzten Jahrhundert keinen Platz mehr). Das "Dritte" , das angeblich auch aus dieser Literatur hervorgeht, bleibt dabei völlig im Dunkeln... Schade Best wishes Yomb Am 06.01.2019 um 09:07 schrieb Henrike Laehnemann: > Dieser Artikel > <https://www.nzz.ch/feuilleton/usama-al-shahmani-ein-iraker-spricht-mit-den-baeumen-und-wandert-ld.1448485?mktcid=smsh&mktcval=E-mail> wird > Ihnen empfohlen: Neue Zürcher Zeitung https://www.nzz.ch © Neue > Zürcher Zeitung AG - Alle Rechte vorbehalten > *Schriftsteller Usama Al Shahmani spricht mit den Bäumen und lernt in > der Schweiz das Wandern > * > Als Flüchtling kam der irakische Schriftsteller Usama Al Shahmani in > die Schweiz. Heute schreibt er nicht nur auf Deutsch Romane, er macht > sich auch mit überraschenden Facetten dieses Landes vertraut. > > Roman Bucheli 4.1.2019, 05:30 Uhr > > Kaum sei er in der Schweiz angekommen, erzählt der irakische > Schriftsteller und Flüchtling Usama Al Shahmani, habe er zum > ersten Mal in seinem Leben vom Wandern gehört. Eine Bekannte hatte ihm > vorgeschlagen, sie auf einer Wanderung zu begleiten. Das Beste daran > sei das Picknick unterwegs, so versuchte sie, die selber aus dem Irak > stammte, aber schon lange in der Schweiz lebte, dem jungen Mann die > ihm fremde Freizeitbeschäftigung im Wortsinn schmackhaft zu machen. > > Al Shahmani indessen blieb argwöhnisch. Er «fand keine > nachvollziehbaren Gründe, wozu dieses Wandern gut sein sollte». Nein, > im Irak wandern sie nicht, versicherte er. «Das können wir nicht.» Al > Shahmani konnte sich nur wundern über die irakische Bekannte. Wie wird > aus einer Landsfrau so schnell eine Schweizerin, dass sie vergisst, > was ihresgleichen eigentlich gar nicht «kann»? > > Und nun liesse sich über die Anekdote lächeln, denn immerhin zeigt > sie, an welchen Kleinigkeiten die Verständigung zwischen Einheimischen > und Fremden scheitern kann. Indessen verrät die Szene einen sublimen > Hintersinn, der vielleicht sogar dem Autor selber entgangen ist. Muss > man einem Migranten erklären, was «wandern» heisst? Ist ein Flüchtling > nicht so viel und so weit gewandert, dass es für ein ganzes Leben und > mehr reichen wird, und muss darum eine solche Einladung nicht > geradezu obszön erscheinen? Ja und nein. Denn Usama Al Shahmani hat in > der Schweiz das Wandern noch einmal ganz von vorne gelernt. Davon > erzählt er in seinem zauberhaften Buch «In der Fremde sprechen die > Bäume arabisch». Das Gehen in der Natur half ihm beim Ankommen in der > Fremde. Und vielleicht versöhnte es ihn sogar ein wenig mit der langen > Wanderung, mit der Flucht aus Basra, die 2002 begann und fast ein Jahr > gedauert hat. > > Zu Hause an vielen Orten > > Wenn ein Iraker von den Schweizern noch einmal neu lernt, was Wandern > auch bedeutet, dann könnten ihrerseits manche etwas heimatverdrossenen > Menschen im Westen von einem Iraker lernen, was es mit der Heimat auf > sich hat. Als Usama Al Shahmani im vergangenen Sommer in Appenzell > eine Ansprache zum Schweizer Nationalfeiertag hielt, erzählte er dem > Publikum, er sei 1971 in Bagdad geboren worden und habe das Land 2002 > fluchtartig verlassen müssen, nachdem sein > regimekritisches Theaterstück verboten worden sei. Er lebe nun seit 16 > Jahren in der Schweiz und habe das Land lieben gelernt. «Trotzdem > fühle ich mich weder in der Schweiz noch im Irak ganz zu Hause. Ich > bin an beiden Orten irgendwie fremd.» > > Später in der Rede kam er auf die Frage nach seinem Zuhause zurück. > Nun präzisierte er: «In Frauenfeld bin ich zu Hause.» Er sei dort «zu > Hause», wo er seinem Kind barfuss hinterherrenne, weil es sein > Pausenbrot vergessen habe. Die Emphase heimatlicher Gefühle wird darin > ganz ans Pragmatische des Alltagslebens gebunden. Aber die Empfindung > hat natürlich weiter gefasste Facetten. In einem Gespräch mit dem > Deutschlandfunk fand Al Shahmani diese anrührende Wendung, die sich > ihrerseits von jeder Ortsgebundenheit lossagt: «Heimat ist für mich > die arabische Sprache, wenn ich mit meiner Mutter telefoniere.» > > Eine dritte Formulierung schliesslich hebt alles Heimatliche aus den > Koordinaten von Raum und Zeit heraus in die Sphäre > des Vorstellungsvermögens. In Al Shahmanis Buch heisst es nun: «Wenn > ich das Wort ‹Heimat› ausspreche, steht vor meinem inneren Auge eine > Dattelpalme.» Das liegt dann schon sehr nah an der Idee > vom «portativen Vaterland», wie sie Heinrich Heine für > seine Exilerfahrung und jene der Juden in der Diaspora insgesamt > formuliert hatte. Der Flüchtling trägt seine Heimat in Form von > Büchern bzw. im Wort und im Bild mit sich herum. Sie ist an keinen Ort > und keine Zeit mehr gebunden. Oder anders: Jeder Ort kann > ihm ein Zuhause werden. > > Al Shahmani hütet sich davor, Flucht und Exil zu romantisieren. Not > und Verzweiflung sprechen aus vielen seiner Sätze. Aber in > allen seinen Erzählungen von vergeblicher Arbeitssuche, von > Entbehrungen, von der Sehnsucht nach der im Irak zurückgebliebenen > Familie, von der Sorge um die Menschen und das Land bleibt eines > spürbar: der unbedingte Wille, an jenem Ort anzukommen, wohin ihn > das Schicksal verschlagen hat. > > Das Verlangen nach Sprache > > Das beginnt, wenig erstaunlich für einen Literaten und naheliegend > freilich in jeder Hinsicht, bei der Sprache. Kaum in der > Schweiz, lernt Al Shahmani im Selbststudium Deutsch. Heute schreibt er > nicht nur seine Bücher auf Deutsch, er übersetzt auch > Adorno oder Schleiermacher ins Arabische. Zugleich zeigt sich gerade > an der Sprache in exemplarischer Weise, wie nah Schmerz und Glück > im Leben eines Flüchtlings liegen. > > Der Verlust an der Fähigkeit zur Artikulation und zur Kommunikation > quält nicht nur den Schriftsteller. Das ist, neben der Trennung von > Familie und Kultur, vielleicht die einschneidendste Erfahrung der > Migration. Al Shahmani schreibt über sein Heimweh nach > dem südirakischen Dialekt. Doch sagt er auch, das Arabische sei zwar > die Sprache seines Herzens, aber heute würden die beiden > Sprachen, das Deutsche und das Arabische, aneinander mitschreiben. So > hielten sich Verlust und Gewinn nicht einfach die Waage, es > entstehe im Austausch etwas anderes, ein Drittes. > > Man glaubt, in Al Shahmanis Roman herauszuhören, dass hier einer > schreibt, dem die deutsche Sprache nicht in die Wiege gelegt worden > war, der sie sich erkämpfen musste, dem sich das Arabische immer > wieder in den Weg legt, nicht allein in Form vieler irakischer und von > der Grossmutter überlieferter Sprichwörter. Das ist dann freilich > keine blumige «Tausendundeine Nacht»-Prosa, Al Shahmani schreibt ganz > nüchtern, fast schon spröde, als müsste er Sorge tragen zu > seiner unversehrten, jungen Sprache und sie vor jedem Überschwang > bewahren. > > Er hält es mit der Sprache vielleicht wie mit dem Wandern. So fremd > ihn auch manches anmutet, es macht ihn vor allen Dingen neugierig. Er > schreibt darum auf Deutsch, er wandert überdies – und entdeckt die > Wälder und die Bäume. «Im Irak», so schreibt er, «war ich nie im Wald. > Die Bilder von Bäumen und Wäldern in meinem Kopf stammen aus > Geschichten, die mir meine Grossmutter erzählte.» Nun aber geht er, > wie er zuvor nie gegangen ist, lediglich um des Gehens willen, um > zwischen den Bäumen und allein zu sein, allein mit sich und seinen > Gedanken. > > «Die Flucht in die Natur ist meine zweite nach der Flucht aus dem > Irak.» In den Wald trägt er seine Sorgen. Hier beginnt er mit > den Bäumen zu reden. Er erzählt ihnen seine Geschichte. Und er > schildert seine Not, die nicht kleiner geworden ist, auch wenn er > endlich Arbeit findet und eine bereits längere Zeit in der > Schweiz lebende, ebenfalls aus dem Irak stammende Frau kennenlernt, > sie heiratet und mit ihr Kinder hat. Sein Leben bleibt zerrissen > zwischen einem Hier und Jetzt und einem Dort, wo er seine Familie in > einem ungewissen Schicksal zurückgelassen hat. > > Dann erreicht ihn im April 2006 die Nachricht, dass sein jüngerer > Bruder Ali in Bagdad verschwunden sei. Lange schon hatte ihn > die Familie vergeblich bedrängt, er solle die im Chaos von Terror und > Bürgerkrieg versinkende Stadt verlassen und in den Süden des Iraks zur > Familie zurückkehren. Plötzlich bricht der Kontakt zu ihm ab > und verliert sich seine Spur, niemand weiss, was mit ihm > geschehen ist: Ob er entführt, ermordet oder verschleppt worden sei. > Kein Zeichen mehr, nichts. > > Verzweifelt sucht die Familie ihren jüngsten Sohn, man unternimmt > alles, um ihn zu finden, und klammert sich selbst an die > kleinste, absurdeste Hoffnung. Und in der fernen, sicheren Schweiz > sitzt Usama, tatenlos muss er an dem grausamen Schicksal teilnehmen, > nur gelegentlich erhält er bruchstückweise Nachrichten von seiner Familie. > > Ein Requiem für den Bruder > > Einmal aber öffnet sich so etwas wie ein kleines Fenster nach Hause. > 2007 kann er an einer Tagung in Damaskus teilnehmen und trifft dort > seinen anderen Bruder Naser, der ihm nun die schauerlichsten Szenen > schildert aus den Leichenschauhäusern Bagdads, wo unzählige Menschen > tagtäglich nach ihren verschwundenen Angehörigen suchen. > > Es sind die aufwühlendsten Passagen des Buches, weil darin zugleich am > schärfsten und schmerzhaftesten das Nebeneinander von Terror und > Frieden zutage tritt. Hier der in der Schweiz lebende Flüchtling, da > der Bruder aus dem Irak, der von einem Land erzählt, das im Elend > erstickt – und beide sind sie nun ein paar Tage in Damaskus zusammen > und erleben kurze Lichtblicke in einem Land, das wenige Jahre später > von einem ebenso schrecklichen Bürgerkrieg heimgesucht wird. > > Hier erst erschliesst sich einem die letzte Dimension dieses > vielschichtigen Buches. Nun sieht man, dass diese Erzählung > vom Ankommen in der Fremde zuletzt auch ein Requiem für den > verschollenen Bruder ist. Und dass mit dem Verlust des > Bruders zugleich der Verlust von Tausenden, Abertausenden, unendlich > vielen hoffnungsfrohen Menschen beklagt wird. So erzählt dieses > Buch gleichermassen von einem, der in der Schweiz zu wandern und mit > den Bäumen zu sprechen lernt, wie von einem Land und seinen Menschen, > die um ihre Zukunft betrogen worden sind, die sich trotzdem nicht > beugen lassen wollen, nicht von Gotteskriegern und auch von keinem > Despoten. > > Usama Al Shahmani: In der Fremde sprechen die Bäume arabisch. Roman. > Limmat-Verlag, Zürich 2018. 189 S., Fr. 31.90. > > > ------------------------------------------------------------------------ > > To unsubscribe from the GERMAN-STUDIES list, click the following link: > https://www.jiscmail.ac.uk/cgi-bin/webadmin?SUBED1=GERMAN-STUDIES&A=1 > ######################################################################## To unsubscribe from the GERMAN-STUDIES list, click the following link: https://www.jiscmail.ac.uk/cgi-bin/webadmin?SUBED1=GERMAN-STUDIES&A=1