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(SZ) Gerd Müller, der Entwicklungsminister, hat soeben eine interessante These entwickelt. Er sagte nämlich der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der erbitterte Streit, den die beiden Unionsparteien zum Thema Einwanderung und Zurückweisung ausgetragen haben, sei kein gutes Vorbild für die Jugend. Nähere Erläuterungen gab Müller nicht, deshalb bleiben ausgewiesene Kenner der Jugend ratlos zurück: Meint Müller, die Auseinandersetzung zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer sei nicht robust genug verlaufen? Hätten sich die beiden vielmehr aus dem Begriffsmenü der Rapper bedienen oder gegenseitig auf Facebook mit orthografisch fantasievollen Schimpfwörtern belegen sollen? Dergestalt können natürlich nur Spaßvögel fragen, die blöde und auf nichts als vorgefertigten Urteilen beruhende Ansichten über junge Menschen pflegen. In Wirklichkeit will Gerd Müller natürlich zum Ausdruck bringen, dass die verhakte, kompromissfeindliche und unnachgiebige Weise des Zweikampfs zwischen der Kanzlerin und dem Innenminister keine hilfreiche Vorlage sein kann, wenn es gilt, jungen Menschen Modelle zur Konfliktlösung aufzuzeigen.

Man könnte noch einwenden, dass Gerd Müller der ein wenig rührenden Vorstellung nachhängt, Jugendliche verfolgten mit zum Zerreißen gespannter Aufmerksamkeit, was Merkel und Seehofer da alles veranstalten. Die Vorbilder der Jugend dürften hierarchisch dergestalt gegliedert sein, dass die beiden Parteivorsitzenden einen eher nachrangigen Platz einnehmen und damit sehr, sehr weit hinter den Fußballern liegen, deren faszinierende Aufsteigerbiografien viele junge Menschen zu Tränen rühren. Als neulich aber der brasilianische Stürmer Neymar im Spiel gegen Mexiko durch ein Foul des Außenverteidigers Miguel Layun zu Boden ging und sich dort in einer derart abscheulichen Weise drehte und wand, als habe ihn ein Schwertwal durchbohrt, hoben sich pikiert in aller Welt die Augenbrauen. Juan Carlos Osorio, der Trainer der im Spiel unterlegenen mexikanischen Nationalmannschaft, donnerte noch im Stadion von der Tribüne, Neymars Schmerzensperformance sei „ein schlechtes Beispiel für all die Kinder vor dem Fernseher“ gewesen.

Seltsam, nicht wahr: Gerd Müller hält den entfesselten und nur unter großen Mühen eingehegten Zorn von Merkel und Seehofer für ein schlechtes Beispiel. Osorio dagegen findet das ausgestellte und übertrieben präsentierte Leid des Spielers Neymar pädagogisch ungeeignet. Zwischen diesen emotionalen Pflöcken weht das Banner mit der Frage, welcher Art Vorbild denn für die heutige Jugend überhaupt geeignet sei. Es müsste jemand sein, der weder vor Wut mit Rücktritt droht noch sich vor Schmerzen auf dem Rasen windet noch bei allem, was ihm an Schwierigkeiten begegnet, eine europäische Lösung sucht.


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