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Ein Artikel aus der digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 14.04.2018

http://sz.de/1.3942941

Feuilleton, 14.04.2018

Zeitgeschichte

1968 in fünf Bänden
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Von Willi Winkler

Eigentlich reicht es mit 1968 jetzt schon. Alle, die noch leben, haben im Fernsehen geredet. Aber halt, da sind diese fünf Bände, Hefte eher, Pamphlete, Gedichte, Aufsätze, ein Drehbuch, eine bunte Reihe und mittendrin auf einmal Selbstkritik: "Wir haben Fehler gemacht, wir legen ein volles Geständnis ab: Wir sind nachgiebig gewesen, wir sind anpassungsfähig gewesen, wir sind nicht radikal gewesen." Das sagte im April 1967 Peter Schneider, Student der Germanistik ("Wir sind so verdammt immanent gewesen") im Audimax der Freien Universität Berlin und forderte seine Generation auf, den Rasen zu betreten, den verbotenen. Der Band "Ansprachen" erschien erstmals 1970 und musste dem Autor abgeschwatzt werden; Schneider sah sich als Aktivist, nicht als Schriftsteller, der er wurde. Er hatte schon beim Wahlkontor deutscher Schriftsteller für Willy Brandt mitgemacht und beteiligte sich dann im Auftrag von Hans Magnus Enzensberger und Rudi Dutschke an der Anti-Springer-Kampagne und am Vietnam-Kongress. Der Band "Ansprachen" ist bei Wagenbach zusammen mit der Sozialstudie "Bambule" von Ulrike Meinhof (ihre letzte Arbeit, ehe sie im Untergrund verschwand), mit Rudi Dutschkes optimistischer Perspektive "Geschichte ist machbar" und Peter Brückners immer noch aktuellen Überlegungen zum "Ungehorsam als Tugend" zum Jubiläum neu herausgekommen (jeweils 10 Euro). Es sind allesamt Wagenbach-Klassiker, aber auch Grundschriften der Revolte. Im Rückblick kämen einem die Jahre um 1968 viel literarischer vor, als sie es waren, schreibt der Verleger Klaus Wagenbach in seinem Nachwort zu Peter Schneider, und das, obwohl die Literatur in Enzensbergers Kursbuch vorübergehend für tot und erledigt erklärt wurde. Eine neue erstand damals, lakonisch, tagesaktuell, höchst effektvoller Agitprop. "Aus Da Nang/wurde fünf Tage hindurch/täglich berichtet:/Gelegentlich einzelne Schüsse//Am sechsten Tag wurde berichtet:/In den Kämpfen der letzten fünf Tage/in Da Nang/bisher etwa tausend Opfer". Was vor fünfzig Jahren als unziemlich zeitungshaft galt, ist im Lesebuch für die Oberstufe angekommen. Der Titel von Erich Frieds Gedichtband, "und Vietnam und", ist längst sprichwörtlich.


Willi Winkler
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1957 geboren in Sittenbach (Bayern). Abitur am Humanistischen Gymnasium, anschließend Lagerarbeiter. Studium in München und St. Louis (USA). Redakteur bei der Zeitschrift Merkur, bei der Zeit, beim Spiegel. Hat diverse Bücher übersetzt (John Updike, Saul Bellow, auch Keith Richards) und geschrieben ("Alle meine Deutschen" [1998], "Karl Philipp Moritz" [2006], "Die Geschichte der RAF" [2007], "Der Schattenmann" [2011]). Seit 1998 fester Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung. Ben-Witter-Preis, Otto-Brenner-Preis.