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Ein Artikel aus der digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 26.04.2017

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Die Seite Drei, 26.04.2017 Deniz Yücel: Wie du mir
========== Von Tim Neshitov

Als der Journalist Deniz Yücel, geboren 1973 in Flörsheim am Main, vor zwei Jahren nach Istanbul zog, hinterließ er in Deutschland eine Fangemeinde. Menschen, die seinen Humor, sein Herz, seine Schnauze schätzten. Solche Sätze: "Liebe FDP. Schon als du, das ästhetische Ärgernis, noch da warst, hast du gefehlt. Und jetzt fehlst du noch viel mehr. Ganz im Ernst."

Es war nicht selbstverständlich, dass seine Leser Deniz Yücel geistig in die Türkei folgen würden, denn dorthin zog er für die Axel-Springer-Zeitung Die Welt , seine Fangemeinde aber hatte er sich bei der taz erschrieben. Von der taz bis zum Axel-Springer-Haus sind es in Berlin zwar keine zehn Minuten zu Fuß: Einfach immer die Rudi-Dutschke-Straße runter, bis diese sich mit der Axel-Springer-Straße kreuzt. Aber die Zahl der taz-Leser, die auch die Welt lesen, ist überschaubar, wenn nicht alles täuscht.

Ulf Poschardt, der Chefredakteur der Welt, der Deniz Yücel als Türkei-Korrespondenten zu Springer holte, hat seit dessen Verhaftung im Februar einiges erlebt. Er telefoniert regelmäßig mit dem Auswärtigen Amt, mit Kolleginnen und Kollegen von der taz, er hat einen offenen Brief an Recep Tayyip Erdoğan geschrieben. Einen jener Briefe, bei denen jedes Wort zählt.

Im Atrium des hochgesicherten Springer-Hauses tragen sich Besucher ins Freedeniz-Buch ein
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Er endet mit den Worten: "Zu den Säulen Ihrer Religion gehört der Koran. In einer der schönsten Suren, der 55., wird erzählt, wie Gott, der Barmherzige, die Welt erschaffen hat: Zuerst schuf er den Menschen, dann den Himmel mit der Sonne und den Sternen und schließlich die Waage, die fortan für Gerechtigkeit unter den Menschen sorgen sollte. 'Wenn ihr über Menschen richtet', das fordert Gott von seinen Gläubigen, 'dann urteilt mit Gerechtigkeit'. Ich freue mich, von Ihnen zu hören. Hochachtungsvoll, Ulf Poschardt."

Der Brief erschien in der Welt am 7. März unter der Rubrik "Fall Deniz Yücel". Der Korrespondent, der zu einem Fall geworden ist, sitzt bis heute in Einzelhaft im Hochsicherheitsgefängnis Silivri bei Istanbul. Er musste seine Freundin im Gefängnis heiraten, damit sie ihn besuchen darf.

Erdoğan ließ tatsächlich von sich hören - aber nicht bei Ulf Poschardt, sondern in einem Interview im türkischen Fernsehen, in dem er Yücel einen "ajan terörist" nannte. Damit ist offenbar eine Art Terrorist gemeint, der nebenbei geheimdienstliche Agententätigkeit ausübt; exakt diesen Ausdruck nutzte Erdoğan bereits für Can Dündar, den nach Deutschland geflüchteten Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet.

Das Interview wurde drei Tage vor dem Verfassungsreferendum ausgestrahlt und lange bevor irgendein Richter irgendein Urteil über Deniz Yücel gefällt hätte. Ein hochinteressantes Interview, weil Erdoğan darin klarmacht, warum der Journalist nicht freikommen werde, solange er, Erdoğan, im Amt bleibe. Glaubt man dem türkischen Staatschef, dann hat der Fall Deniz Yücel, einer der kniffligsten in der Geschichte der deutschen Diplomatie, mit der Person Deniz Yücel nur bedingt etwas zu tun, "ajan terörist" hin oder her. Aber dazu später.

Ulf Poschardt spricht kein Türkisch, seine Muttersprache ist Dänisch. Er gibt zu, dass er sich mit fundierten Aussagen zur türkischen Politik schwertue. "Ich blicke da nicht an jeder Stelle durch. Ich verstehe deren Modus operandi nicht." Als er sich damals mit Deniz Yücel im Café Einstein am Checkpoint Charlie traf, zwei Gehminuten von der taz entfernt, um ihn für die Welt zu gewinnen, hätten sie zuerst gar nicht über die Türkei gesprochen.

"Ich wollte, dass er Innenpolitik macht, Schrägstrich Feuilleton. Berliner Republik. Subkultur. Den hätte man überall hinschicken können. Wildbad Kreuth, Documenta in Athen, you name it!" Aber es war unmöglich, im Frühjahr 2015 nicht über die Türkei zu sprechen, mit einem Journalisten, der erst kurz zuvor ein Buch über die Anti-Erdoğan-Proteste geschrieben hatte: "Taksim ist überall. Die Gezi-Bewegung und die Zukunft der Türkei". Yücel sprach im Einstein über die Türkei, leidenschaftlich, und Poschardt hörte zu. Er bot Yücel den Korrespondenten-Posten an.

Deniz Yücel verließ seine geliebte taz. Rang er mit sich?

Ulf Poschardt arbeitet in einem luftigen Eckbüro im 4. Stock des Springer-Hauses, mit Blick auf die große Springer-Baustelle: Da unten entsteht das neue Verlagsgebäude von Rem Koolhaas. Es schneit auf die Baustelle, die verrückten Apriltage. Poschardt trägt Nike-Schuhe zur Chino-Hose. Er fährt Porsche. Über Letzteres hat er ein Buch geschrieben und nun erwähnt er sein Fortbewegungsmittel noch mal, weil das für viele in der Berliner Republik, in den Subkulturen und darüber hinaus, von Bedeutung ist, wenn es darum geht, andere zu verorten, geistig oder menschlich.

Poschardt war in jungen Jahren Chefredakteur des SZ-Magazins; er ist nun 50. In einem Gastbeitrag für die taz beschrieb er sich mal als einen ehemaligen Linken, der nicht aufhören kann, "über die existierende Linke den Kopf zu schütteln". Über Deniz Yücel habe er nie den Kopf geschüttelt, denn Yücel sei nie ein Lagerdenker gewesen, sagt er. "Wissen Sie, wenn man der ganzen Geschichte etwas Positives abgewinnen mag: Wir erleben gerade eine gewisse Überwindung des Lagerdenkens. Dank Deniz."

Auf dem Dach des Springer-Hauses ist ganz groß zu lesen, von weit her im Altbau-Berlin: "#FREEDENIZ". "Ich saß hier am Fenster, als der zweite Solidaritätskorso vorbeifuhr, mit roten Fahnen, diese Demonstranten, von denen ich annehme, dass sie nicht die klassischen Welt- und Welt-am-Sonntag-Abonnenten sind. Und sie haben für einen Mitarbeiter dieses Hauses gejubelt. Nach all den Kulturkämpfen, die es um dieses Haus gab."

Am Tag nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei ließ die Welt eine Spalte auf der ersten Seite leer: "Freiraum für Deniz. Hier würde der Kommentar von Deniz Yücel stehen". Dietmar Bartsch, ein Politiker der Linken, von dem Ulf Poschardt sagt, er werde ihn kaum wählen, verbreitete die leere Spalte auf Twitter, mit dem Kommentar: "Schon cool."

"Schon stark", sagt Poschardt über Bartsch.

Mit der taz habe man eine Art "Redaktionsgemeinschaft" in Sachen Deniz Yücel gegründet. Eine Kollegin, ein Kollege sei immer vor Ort in Istanbul, für alle Fälle. Man löse sich ab. "Wie Sie heute meinem rockigen Senkt-die-Steuern-Kommentar entnehmen können", sagt Poschardt, "haben wir ordnungspolitisch komplett konträre Positionen. Aber wenn es darum geht, Meinungsfreiheit zu verteidigen, marschieren wir zusammen."

#Freedeniz: Die Solidarität in Deutschland ist groß. Es gab Autokorsos und ganzseitige Appelle in Zeitungen. Im Atrium des hochgesicherten Springer-Hauses liegt ein Freedeniz-Buch aus, in das sich Besucher eintragen können. Jemand aus Straubing hat gedichtet: "Der Präsident wird Pascha / Wird zum Menschen-Hasser / Zu Einem, der sich selbst beglückt / Wenn er and're unterdrückt / Aus Berlin der Schrei ... / Lass den DENIZ frei!"

Yücel drohen zehneinhalb Jahre Haft - auch weil er einen unter Kurden beliebten Witz zitierte
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"Wir denken an diesem Abend auch an Deniz Yücel", sagte Angela Merkel in ihrer Aschermittwochsrede in Demmin, Mecklenburg-Vorpommern. Bundespräsident Joachim Gauck (den Yücel mal einen "reaktionären Stinkstiefel" nannte) haute, soweit das Amt erlaubt, auf den Tisch: "Wir können in Deutschland nicht nachvollziehen, warum diese Attacke auf die Pressefreiheit notwendig ist. Uns fehlt das Verständnis."

Nur die AfD schert aus dem Korso aus. "Die verzeihen Deniz den Deutschenhass nie", sagt Ulf Poschardt, "sie hassen ihn im selben Wortlaut und mit derselben Garstigkeit, mit der die AKP ihn hasst." Es sieht in der Tat nach einem neuen Frontverlauf aus, in Sachen Kulturkampf, beziehungsweise nach einem Wahlkampfthemchen für die AfD.

Deniz Yücel bekam schon immer reichlich Leserpost, weil er als Kolumnist bei der taz gern und fleißig austeilte. Und zwar nach links, nach rechts und auch in die Mitte rein, wo es besonders wehtut. Er ging auf Jakob Augstein los, den linken Publizisten und Verleger, den er für einen Antisemiten hält und als "kriddischen Dschornalisten" verspottete. Thilo Sarrazin nannte er "eine lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkreatur"; in einer auffällig geschmacklosen Kolumne wünschte er dem Ex-Bundesbanker, "der nächste Schlaganfall möge sein Werk gründlicher verrichten". Sarrazin klagte und bekam von einem Gericht 20 000 Euro Entschädigung zugesprochen. Die taz zahlte.

Über seine Leserpost aber konnte Yücel lachen, zumindest auf der Bühne. "Wann schneidet die taz endlich dem Yücel die Eier ab?" "Schön, dass Sie zwischen zwei Ehrenmorden Zeit für eine Kolumne finden." Yücel tat sich zusammen mit einigen Kollegen mit migrationshintergründigen Namen, um solche Leserbriefe gemeinsam vorzulesen, die Showreihe nannten sie Hate Poetry. Das hatte für alle eine kathartische Wirkung und brachte Yücel den Titel "Journalist des Jahres" ein, verliehen vom Branchenblatt Medium Magazin.

Yücels "Deutschenhass", den ihm einige nie verzeihen werden, zeigte sich in einer Kolumne mit der Überschrift: "Super, Deutschland schafft sich ab!", Achtung, Satire: "In der Mitte Europas entsteht bald ein Raum ohne Volk. Schade ist das aber nicht. Denn mit den Deutschen gehen nur Dinge verloren, die keiner vermissen wird."

Das ist alles, wie gesagt, ein Weilchen her, sechs Jahre, um genau zu sein. Nun twittert ein Markus Frohnmaier, Jahrgang 1991 und Bundesvorsitzender der Jungen Alternative: "National-Borderliner #Yücel hätte in Deutschland schon längst wegen Beleidigung und Volksverhetzung Gefängnis von innen erleben sollen." Und Pegida-Chef Lutz Bachmann tritt auf Facebook nach: "Gibt's in der Türkei die Todesstrafe? Wenn ja, wäre die Hinrichtung von Schmierfink #Deniz mal wieder ein guter Grund hinzufahren!"

Die Eltern wollten nicht, dass Deniz Yücel nach Istanbul geht
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Die Todesstrafe gibt es in der Türkei (noch) nicht, was sich aber nach dem Wunsch von Staatschef Erdoğan ändern soll. Momentan drohen Yücel zehneinhalb Jahre Haft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Terrorpropaganda und Volksverhetzung vor, ausschließlich anhand seiner Artikel; es geht um die Verhetzung des türkischen Volks, nicht des deutschen.

Laut Gerichtsprotokoll besteht Terrorpropaganda in diesem Fall darin, dass Yücel, erstens, im August 2015 ein Interview mit dem PKK-Anführer Cemil Bayık führte. Das Interview war nicht zuletzt deswegen interessant, weil Bayık darin zugab, dass die PKK Kritiker aus den eigenen Reihen hingerichtet hat. Derselbe Bayık wurde drei Monate später von der BBC und dann noch von der Londoner Times interviewt, was aber glücklicherweise zu keinen Verhaftungen führte. Nach dem gescheiterten Putsch im vergangenen Juli stellte Yücel fest, und auch das wird als Terrorpropaganda ausgelegt, es gebe keine eindeutigen Beweise dafür, dass Erdoğans Intimfeind, der Prediger Fethullah Gülen, hinter dem Umsturzversuch stecke. Mehrere türkische und ausländische Journalisten taten genau das Gleiche, aber glücklicherweise sitzen nicht alle von ihnen im Knast.

Thema Volksverhetzung: Yücel zitierte einen unter Kurden verbreiteten Witz: "Ein Türke und ein Kurde werden zum Tode verurteilt. 'Was ist dein letzter Wunsch?', wird der Kurde vor Vollstreckung gefragt. Er überlegt kurz und sagt dann: 'Ich liebe meine Mutter sehr. Bevor ich aus dieser Welt scheide, möchte ich noch einmal meine Mutter sehen.' Dann darf der Türke seinen letzten Wunsch äußern. Ohne zu zögern, antwortet er: 'Der Kurde soll seine Mutter nicht sehen.'"

Erdoğan erzählt, was er angeblich zu Merkel gesagt hat: "Unsere Gerichte sind gerechter als eure."
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Die Stichhaltigkeit der Anklage hat stark an Relevanz verloren, seit Erdoğan den Angeklagten "ajan terörist" nannte. Und zwar in folgendem Kontext: Drei Fernsehmenschen, die man aufgrund ihrer untertänigen Mimik kaum als Journalisten bezeichnen kann, befragen den Staatschef anderthalb Stunden lang zu diesem und jenem. Das Gespräch wird am Abend des 13. April um 20 Uhr live und landesweit auf drei Sendern ausgestrahlt. Erdoğan erzählt, wie sein Referendum dem türkischen Volk mehr Macht beschere, und was für eine Pfeife der Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu doch sei. Sich selbst bezeichnet Erdoğan als "Diener".

Kurz vor Schluss bemerkt einer der Fernsehmenschen: "Es gibt mit der Europäischen Union noch diese Fetö-Geschichte." Gemeint ist die Gülen-Bewegung, 256 Anhänger Fethullah Gülens hätten allein in Deutschland Unterschlupf gefunden, das habe er recherchiert. Und Deutschland liefere diese Leute nicht aus - was nun?!

"Was auch immer die machen", sagt Erdoğan, und er meint die deutsche Bundesregierung, "wir werden mit dem Gleichen heimzahlen. So einfach ist das. Wenn einer von denen uns in die Hände fällt, wird er genauso behandelt."

"Wir geben den nicht zurück?", freut sich der Fernsehmensch.

Erdoğan macht die Augen zu, schüttelt den Kopf, Pause. "Auf keinen Fall. Solange ich in diesem Amt bin: auf keinen Fall."

Diese Aussage wurde fälschlicherweise (und das ärgert nicht zuletzt die Beamten im Auswärtigen Amt, die mit Hochdruck an dem Fall arbeiten) dahingehend ins Deutsche übersetzt, dass die Türkei Deniz Yücel nicht "ausliefern" werde. So stand es auch in der Welt: "Erdoğan schließt Auslieferung von Yücel an Deutschland aus."

Auslieferung heißt aber, dass ein Land, an das jemand ausgeliefert werden soll, diese Person einer Straftat bezichtigt. Deutschland will Deniz Yücel keinen Prozess machen. Der Kuhhandel, den Erdoğan hier aufzieht - eure Terroristen gegen unsere - ist also ein einseitiger. Beziehungsweise gar keiner: Für die Bundesregierung ist weder Deniz Yücel ein Terrorist, noch sind es die Anhänger Fethullah Gülens, die in Deutschland Asyl suchen.

"Da gab's ja einen, der kam von alleine", sagt Erdoğan in dem Interview. Den Namen Yücel nimmt er nicht in den Mund. Die drei Fernsehmenschen sagen: Ja, ja, stimmt, da kam einer. Erdoğan sagt: "Er wollte das selbst (gemeint ist wohl Yücels Vernehmung durch die Polizei). Und hier, gleich hier ..." Erdoğan hebt den Zeigefinger. Das Interview wird in einem Anwesen am Bosporus aufgezeichnet, Luftlinie 500 Meter von der historischen Sommerresidenz des deutschen Botschafters entfernt.

Erdoğan senkt die Stimme: "Es stellt sich heraus, der war dort. Mit Meeresblick! Einen Monat haben sie ihn beherbergt. Ich habe gesagt: Frau Merkel, er soll da mal raus und vor den Richter." Erdoğan berührt seinen Nasenflügel. "Wenn da nichts dran ist, na dann, unsere Gerichte sind gerechter als eure, habe ich gesagt. Sie konnte nichts antworten. Wie dem auch sei, er ist da raus, und der Richter hat ihn verhaften lassen. Nun ist er drin."

"Hat er ernsthafte Verbindungen zur PKK?", fragt einer der Fernsehmenschen.

"Natürlich. Wir haben Bilder, alles. Er war in jeder Hinsicht ein ajan terörist." Erdoğan verlagert nun sein Gewicht nach vorne: "Journalisten sind doch keine unbefleckten Wesen - ihr seid eine Ausnahme (dankbares Murmeln in der Runde) -, aber die versuchen, solche Journalisten als unbefleckte Wesen zu präsentieren." Erdoğan wendet sich jetzt an die Bundesregierung: "Wem wollt ihr das bitte andrehen? Wir sehen schon, wer was macht. Menschen, die mit ihren Gedanken, ihren Ideen, ihren Stiften wirklich den Gesellschaften neue Wege weisen, sind mehr als willkommen. Wir werden sie immer unterstützen. Aber Typen, die nach Kandil fahren (in den Kandil-Bergen traf Yücel den PKK-Anführer Bayık), mein Land bedrohen, es teilen, hier spionieren, mit denen werden wir so umgehen, wie es sich gehört, so wie es die Gesetze gebieten."

Deniz Yücel hat eine jüngere Schwester, Ilkay. Sie lebt noch dort, wo sie aufgewachsen sind, in Flörsheim. Von Frankfurt braucht die S-Bahn 23 Minuten. Vor ziemlich genau 45 Jahren kamen ihre Eltern hier an, im April 1972. Der Vater arbeitete bei der Keramag, der Keramikfabrik, die Mutter in der Krankenhausküche. Nun organisiert Ilkay Yücel hier Autokorsos, gibt Interviews. Sie ist müde und angespannt. "Unsere Eltern haben sich krank gearbeitet. Sie wollten, dass wir es besser haben, dass wir Bücher lesen, studieren."

Der knappe Ausgang des Referendums ist für eine Lösung des Falls wohl nicht hilfreich
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Ihr Bruder las viel, wurde Kreisschülersprecher, organisierte Demos gegen den Irak-Krieg, gegen ausländerfeindliche Brandanschläge in Deutschland in den Neunzigern. Er musste die 10. Klasse wiederholen, so sehr war er damit beschäftigt, die Welt zu retten. Aber eigentlich kam es genauso, wie die Eltern sich das wünschten: Er studierte in Berlin, hatte es besser. Nur wollten die Eltern trotzdem nicht, dass er vor zwei Jahren nach Istanbul ging. "Sie hatten Angst", sagt Ilkay Yücel. "Sie ahnten, dass es schlimm enden könnte." Ihr Vater habe geweint, als er Deniz durch die Glasscheibe im Gefängnis sehen durfte, Sprechmuschel in der Hand. Auch die Schwester weint, als sie das erzählt.

Der knappe Ausgang des Referendums sei für eine Lösung des Falles Deniz Yücel wahrscheinlich nicht hilfreich, hört man aus dem Auswärtigen Amt. Und es sieht wirklich so aus, als wäre Erdoğan seiner Macht nicht ganz sicher. Braucht er Deniz Yücel als Geisel? Andererseits lässt ja Erdoğan seinen Vize-Premier schon wieder um deutsche Wirtschaftshilfe werben.

Doris Akrap, eine taz-Kollegin und alte Freundin Deniz Yücels (sie machten zusammen Abitur in Rüsselsheim), erinnert sich an den Tag, als er sich zum ersten Mal für die Türkei entschied. September 1996, sie machten Urlaub in Italien. "Ich nenne das das Neapel-Ereignis!" Die beiden wussten damals nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollten. Das Projekt eines Kultur-Cafés war gescheitert, politische Karriere uninteressant. Studieren?

"Deniz sagte: Ich gehe in die Türkei. Er ist einfach weiter gereist, für ein Jahr, hat sich unterwegs Klamotten gekauft." Deniz Yücel wollte ein Land kennenlernen, das er nur aus dem Urlaub gekannt hatte, Strand, Hotelzimmer. Nach der Rückkehr habe er davon geträumt, sagt Akrap, irgendwann aus diesem Land zu berichten, es den Deutschen näherzubringen. "Deswegen haben wir uns bei der taz so für ihn gefreut, als er den Korrespondentenjob gekriegt hat."

Am 27. Februar, dem Tag der Vernehmung durch den Haftrichter, postierte sich Doris Akrap vor dem Büro des Staatsanwalts. "Deniz kam mit vier Polizisten den Gang runter. Die haben uns ein paar Momente geschenkt. Wir haben uns kurz umarmt, ich habe keine Worte gefunden, aber er schon. Er zeigte seinen Zeigefinger. Der Fingernagel ist, seit ich ihn kenne, ganz braun von Nikotin. Er sagte: Für irgendwas ist Knast doch gut! Die Hälfte des Fingernagels war sauber. Und dann wurde er schon ins Büro des Staatsanwalts gerufen."


Tim Neshitov
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Tim Neshitov ist Reporter im Ressort Seite Drei. Er wurde in Sankt Petersburg geboren. In München absolvierte er die Deutsche Journalistenschule und arbeitete als Korrespondent der türkischen Zeitung Zaman.