Nach dem Referendum hat die britische Politik die Bevölkerung behandelt, als wären wir die Domestiken in «Downton Abbey.»
Ich habe manchmal nach wie vor das Gefühl, dass der Brexit doch noch abzuwenden wäre. Die britische Forderung, Zugang zum EU-Binnenmarkt zu erhalten, ist mit der Abschottung gegen den freien Personenverkehr nicht zu vereinbaren.
Das trifft zu. Die momentane Stimmung scheint dahin zu gehen, dass wir auf den Zugang zum Binnenmarkt verzichten, um die Zuwanderung einzugrenzen. In diesem Fall würden wir sehr schwierige ökonomische Verhältnisse erleben, aus denen wir uns vielleicht in zwanzig Jahren wieder herausgearbeitet haben. Es besteht die Gefahr, dass die Körperschaftssteuer gesenkt und Grossbritannien ein neues Steuerparadies wird. Unmittelbar nach dem Referendum hatte ich das Gefühl, als Bürger völlig machtlos zu sein. Wie bereits angetönt – wir fühlten uns wie Dienstboten, die lediglich den Schritten der Regierung über ihren Köpfen lauschen können.
Inzwischen ist Grossbritannien ein Einparteistaat, da sich die Opposition in Aufruhr und in einem Zustand der Zerrissenheitbefindet. Teil des Problems ist unsere Parteipresse, die in ihren jeweiligen Lagern kämpft und der britischen Bevölkerung in den vergangenen fünfunddreissig Jahren eingetrichtert hat, die Europäische Union sei ein verrücktes Bündnis, in dem Bürokraten in Brüssel diktierten, dass Bananen gerade und Tomaten viereckig zu sein hätten. Sollte die EU zerbrechen, werden wir in dreissig Jahren auf ein goldenes Zeitalter zurückblicken und bereuen, dass ein Gewöhnungsprozess und monströse Torheit dazu führten, dass wir versäumten, sie zu verteidigen.
Henrike Lähnemann * Professor of Medieval German
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