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Ein interessanter Artikel aus der Süddeutschen Zeitung: Feuilleton, 06.05.2014 Die Welt von gestern

Ideengebraus mit Wasserrutsche
============================== Von Stephan Speicher

Am 6. Mai 1914 wurde in Leipzig die Bugra eröffnet, die "Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik". Es war keine Ausstellung für Fachbesucher, sie wendete sich an jedermann, der Neigung zu Büchern hatte, und das waren im Frühjahr 1914 enorm viele. Bis zum Kriegsausbruch am 4. August wurden 2,1 Millionen Besucher gezählt, durchschnittlich 23 000 pro Tag. Und stellt man in Rechnung, dass der Besuch schon seit dem 28. Juni, dem Attentat von Sarajewo, stark abgeflaut war, dann ist das Interesse noch höher zu veranschlagen. Und doch ist die Erinnerung an das Ereignis verblasst. Der ausbrechende Krieg überlagerte alles, mit Mühe und Verzögerung wurde nach dem Krieg die Ausstellung abgewickelt, Exponate an die ausstellenden Nationen rückerstattet. Und was noch in die Obhut des Buchmuseums gelangte, das wurde bei einem Bombenangriff im Dezember 1943 weitgehend zerstört.

Nun gibt es eine doppelte Anstrengung, an die Bugra zu erinnern. Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum in Leipzig hat eine Ausstellung zum Thema eingerichtet: "Die Welt in Leipzig". Und im Zusammenhang damit ist ein umfangreiches, besonders hübsch gestaltetes Buch unter gleichem Titel erschienen. Dass Leipzig sich vor hundert Jahren an einer solch großen Ausstellung zum Thema Buch versuchte, erstaunt nicht mehr ganz so sehr, wenn man sich die Welle der großen Ausstellungsprojekte vor Augen hält, die damals über die westliche Welt rollte und speziell auch durch Deutschland. So wurden im Mai 1914 auch die große Werkbundausstellung in Köln eröffnet, die eine Million Besucher anzog, und die Ausstellung der Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt. Und das waren nicht die einzigen Unternehmungen dieser Art, so dass man bereits eine gewisse Ausstellungsmüdigkeit konstatierte. Der "Simplizissimus" brachte eine Zeichnung, auf der eine Kommission würdiger Herren durch Deutschland reist, um jene Stadt zu finden, die noch keine Ausstellung veranstaltet - worauf dieser Mangel sogleich zu beheben wäre.

Aufmerksamkeit erregte vor allem die ambitionierte "Halle der Kultur"
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Und doch gab es, so in Frankfurt am Main und München, verschiedene Ideen für neue umfassende Ausstellungen zu Presse und Druckgewerbe. Leipzig, das Zentrum des deutschen Verlagswesen und der graphischen Industrie, sah seine Stellung gefährdet. Eile war geboten, und die Stadt hatte ein geeignetes Ausstellungsgelände samt Bauten zur Verfügung, dank der Internationalen Baufachausstellung 1913. In den Jahren zuvor hatte es allerdings bereits mehrere Ausstellungen der Branche gegeben, Leipzig musste also irgendein Mehr bieten. Das war zum einen die schiere Größe, zum anderen der intellektuelle Anspruch. Neben den Hallen, in denen Papier- und Druckindustrie ihre jüngsten Erfolge und historischen Leistungen vorführten, war es vor allem die "Halle der Kultur", die Aufmerksamkeit erregte.

Deren Planung übernahm Karl Lamprecht, Historiker an der Leipziger Universität. Lamprecht war einer der bekanntesten und umstrittensten Historiker seiner Zeit. Sein Interesse für wirtschaftliche und soziale Entwicklungen hatte ihn in den Ruf gebracht, links zu sein. Der weit gespannte Anspruch seiner Arbeit - Lamprecht verstand sich als Universalhistoriker - brachte die Gefahr des Dilettantismus mit sich, das hatten die Kollegen aufgespießt. Aber in Leipzig war Lamprecht eine anerkannte Größe mit eigenem Institut, und so bekam er Gelegenheit, die "Halle der Kultur" zu prägen, das "Lamprechtianum", wie es bald hieß. Sein Anspruch war es, Buch und Schrift als Ausdruck universalhistorischer Prozesse zu zeigen. Er interessierte sich lebhaft für die außereuropäischen Kulturen; die Niederlagen Spaniens gegen die USA 1898 und Russlands gegen Japan 1905, die Fortschritte der Verkehrs- und Nachrichtentechnik deutete er als Zeichen einer neuen Weltgesellschaft. So kamen in Leipzig auch die außereuropäischen Kulturen zu ihrem Recht. Und Lamprecht war ein richtiger Ausstellungsmann: Er wollte dem Auge etwas bieten, er setzte vor allem auf dreidimensionale Objekte. So wurden zum Beispiel der Stein von Rosette und die Hammurabi-Stele in Abgüssen gezeigt und eine Reihe von Dioramen eingerichtet.

Eugen Diederichs aus Jena bestückte eine Kapelle - mit "Verlagspriesterin"
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Und es gab, sehr charakteristisch für die Zeit, eine Kapelle als Raum des "Kulturverlegers", die Eugen Diederichs aus Jena überlassen wurde. Das ist eines der Details, die die Bugra historisch so aufschlussreich machen. Diederichs war Vertreter einer "Volkstumsbewegung", die sich von allem Chauvinismus freihalten wollte. Die Wirkung der von ihm gestalteten Kapelle mit dem Spezialheiligen Paul de Lagarde zielte auf den "Grundakkord eines neuen gesteigerten Lebens- und Verantwortungsgefühls", das sich in dem prominent angebrachten Motto ausdrückte "Wenn die Winde nur wehen wollten!". Diederichs verstand sich als Verleger mit "seelsorgerischen Auftrag", da fehlte in der Kapelle nur eine ",Verlagspriesterin' in fließendem goldbraunen Seidengewand". In der Witwe des Schriftstellers Erich von Mendelssohn wurde die geeignete Besetzung gefunden.

Der Massenerfolg der Bugra hatte gewiss auch mit ihrem Unterhaltungsangebot zu tun, mit Wasserrutsche, Panoramabahn und viel Gastronomie. Aber es gab doch offenbar ein breites Interesse an Büchern und ihren Gegenständen, doppelt bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie wenige Menschen 1914 eine höhere Schulbildung besaßen. Abitur hatten nur etwa fünf Prozent der männlichen Bevölkerung. Und was Ausstellung und Buch zur Bugra so interessant machen: Man bekommt in den Einzelheiten einen Eindruck von dem Ideengebrause der Zeit, das man heute mit einer Mischung aus Respekt und Kopfschütteln betrachtet.

"Die Welt in Leipzig. Bugra 1914". Leipzig, Deutsches Buch- und Schriftmuseum, bis 24. August 2014. Das Begleitbuch unter gleichem Titel, hrsg. von Ernst Fischer und Stephanie Jacobs, ist bei der Maximiliangesellschaft, Hamburg 2014 erschienen, umfasst 800 Seiten und kostet 68 Euro.