Mythos Schweiz? Zu Konstruktion und Dekonstruktion des Schweizerischen in der Gegenwart Internationale Tagung Dublin, 19.-21. Oktober 2006 Ben Vautiers kontroverser Satz "La Suisse n'existe pas", das Motto des Schweizer Pavillons an der Weltausstellung in Sevilla 1992, war Ausdruck eines akuten Krisengefühls. Das Selbstbild der Schweiz und der Schweizer wurde durch verschiedene Skandale der späten achtziger und frühen neunziger Jahre wie die Fichenaffäre 1989/90 oder den Kulturboykott zur 700-Jahr-Feier 1991 tief erschüttert. Vautiers Provokation brachte pointiert zum Ausdruck, was für nationale Selbstbilder allgemein gilt, ganz besonders aber wohl für ein kulturell und sprachlich so heterogenes Gebilde wie die "Willensnation" Schweiz: Identitäten sind letztlich immer Erfindungen, deren Konstruktcharakter immer dann augenfällig wird, wenn in Belastungssituationen oder Umbruchprozessen ihre Risse sichtbar werden. Auch seither gab es vielfältigen Anlass, zentrale Schweiz-Mythologeme zu revidieren und den "Sonderfall Schweiz" in Frage zu stellen, man denke etwa an die Debatten um die Rolle der Schweiz im 2. Weltkrieg, das Erstarken euroskeptischer Kräfte angesichts einer sich erweiternden und vertiefenden EU, oder die im Zeichen der Globalisierung zunehmende Diskrepanz zwischen politischem Isolationismus und weltweiter ökonomischer Vernetzung. Zu erwähnen wären aber auch traumatische, inner- und außerhalb der Schweiz symbolisch gelesene Ereignisse wie der Brand im Gotthardt-Tunnel 2001 oder, auf einer anderen Ebene, jüngst der Verkauf der Swiss an die deutsche Lufthansa. Die Existenz der Schweiz stellt all dies wohl nicht in Frage, ganz sicher aber Relevanz und Realitätsgehalt gängiger Schweiz-Bilder. Literatur war und ist ein zentrales Medium der Konstruktion wie der Kritik nationaler Mythen, auch und gerade in der Schweiz. Besonders seit Ende des 2. Weltkriegs setzen sich Schweizer Schriftsteller und Intellektuelle - oft sehr kritisch - mit dem Mythos Schweiz auseinander. So ist die Schweizer Literatur im kulturell-gesellschaftlichen Ensemble der Diskurse zugleich Reflexionsmedium und Motor der Entmythologisierung. Andererseits betrachten manche Kritiker diese Vorstellung der Schweizer Intellektuellen als Herolde und Sachwalter einer anderen und besseren Schweiz auch selbst bereits als "Teil der neuen Mythen, die unweigerlich entstehen, wenn die alten zerstört werden" (Elizabeth Pulver). Es ist dabei auffällig, dass die jüngeren Deutschschweizer Autoren wie Ruth Schweikert, Peter Stamm oder Peter Weber sich dieser Rollenerwartung und auch dem expliziten Bezug auf den Mythos Schweiz entziehen und ihre Geschichten oft im Ausland ansiedeln, um so eine Außenperspektive auf die Schweiz zu gewinnen - während andererseits Schillers Tell, der Schweizer Ursprungsmythos schlechthin, im Jubiläumsjahr von Bundesrat Blocher gesponsort im Herzen der Urkantone auf der Ruetli-Wiese aufgeführt wurde Zum Themenkomplex "Mythos Schweiz?" soll von Donnerstag, 19. - Samstag, 21. Oktober 2006 in Dublin eine internationale, interdisziplinäre Konferenz stattfinden. Anknüpfend an die wichtigen, von Michael Butler und Malcolm Pender in den 80er und 90er Jahren angeregten Arbeiten zur deutschschweizer Literatur und Kultur wollen wir die Perspektive von außerhalb der Schweiz und außerhalb des deutschen Sprachraums nutzen, um gemeinsam mit internationalen und Schweizer Kollegen Schweizerische Selbstverständigungsprozesse an der Schwelle zum 21. Jahhrundert zu reflektieren. Im Rahmen dieser Konferenz sollen verschiedene Schweiz-Mythologien genauer befragt werden und insbesondere der Beitrag der deutschschweizer Autoren zu ihrer Konstruktion und Dekonstruktion in den Blick genommen werden. Der Schwerpunkt der Tagung soll im Bereich der Gegenwartsliteratur liegen, wobei historische Perspektiven auf Entstehung und Entwicklung Schweizerischer Mythos-Fiktionen ausdrücklich erwünscht sind. Der Beitrag der Literatur zur Identitätsfindung soll ebenso berücksichtigt werden wie ihr subversives Potential, und auch die Fort- und Umschreibungen etablierter Schweiz-Mythen sollen zur Sprache kommen. Dabei sollen Konstitutionslogik und Funktion von Mythen in Gesellschaft, Literatur und Kunst auch grundsätzlich und theoretisch reflektiert werden. Unter anderen sollen folgenden Themenbereiche angesprochen werden: w Mythos Sonderfall? w Mythos Eidgenossenschaft? w Mythos Souveränität? w Mythos Neutralität? w Mythos Demokratie? w Mythos Alpen? w Mythos Bankgeheimnis? w Mythos Sicherheit? w Mythos Multikulturalität? w Mythos Europa? w Mythos Schweizerliteratur? w Mythos literarischer Gegendiskurs? w Mythos Gewissen der Nation? Erwünscht sind Referate zu diesen und anderen Aspekten der Schweiz-Mythologie, zunächst von Literatur- und Kulturwissenschaftlern, aber auch von Medienwissenschaftlern, Musik- und Kunsthistorikern, Soziologen, Historikern, Politologen und Wissenschaftlern angrenzender Arbeitsgebiete. Veranstalter sind das Department of German der National University of Ireland, Maynooth, und das Department of Germanic Studies des Trinity College, University of Dublin. Adolf Muschg und Peter von Matt werden die Hauptvorträge halten. Eine Reihe von weiteren internationalen und Schweizer Experten konnten bereits gewonnen werden, doch das Programm ist noch für einige Ergänzungen offen. Deshalb möchten wir mit diesem Call for Papers interessierte Kolleginnen und Kollegen ansprechen, die zum Thema “Schweiz" arbeiten. Beiträge können sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache gehalten werden. Wir erbitten Themenvorschläge mit einem abstract von maximal 300 Worten bis zum 31. Januar 2006. Wir werden die Interessenten unmittelbar anschließend informieren, ob Ihr Beitrag berücksichtigt werden konnte. Dr Jürgen Barkhoff Dr Valerie Heffernan Department of Germanic Studies Department of German Trinity College, University of Dublin National University of Ireland College Green Maynooth Dublin 2 Co. Kildare Irland Irland Tel. 00-353-1-6081210 Tel. 00-353-1-7083708 Fax. 00-353-1-6083762 Fax: 00-353-1-6289373 e-mail: [log in to unmask] e-mail: [log in to unmask] -- --------------------------------------- Dr Juergen Barkhoff, F.T.C.D. Senior Lecturer in German Acting Head of Department Department of Germanic Studies University of Dublin Trinity College Dublin Arts Building, Room 5069 Dublin 2, Ireland Tel: 00 353 1 608 1210 Fax: 00 353 1 608 3762 www.tcd.ie/Germanic_Studies/htm/staff/jurgenbarkhoff/jurgenbarkhoff.htm