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Die Schwedische Akademie Pressemitteilung
Der staendige Sekretaer 30. September 1999
Der Nobelpreis in Literatur 1999
Guenter Grass
"Weil er in munterschwarzen Fabeln das vergessene Gesicht der
Geschichte gezeichnet hat"
Als Guenter Grass 1959 "Die Blechtrommel" herausgab, war es, als waere
der deutschen Literatur nach Jahrzehnten sprachlicher und
moralischer Zerstoerung ein neuer Anfang vergoennt worden. Auf den
Seiten dieses seinen ersten Romans wurde eine verlorene Welt
wiedererschaffen, die der Naehrboden seines schriftstellerischen
Werkes gewesen war, die Heimatstadt Danzig, wie sie Grass aus seinen
fruehen Jahren vor der Katastrophe des Krieges erinnerte. Hier nahm er
sich der grossen Aufgabe an, die Geschichte seiner Zeit dadurch zu
revidieren, dass er das Verleugnete und Vergessene wieder
heraufbeschwor: die Opfer, die Verlierer und die Luegen, die das Volk
vergessen wollte, weil es einmal daran geglaubt hatte. Gleichzeitig
sprengt das Buch dadurch den Rahmen des Realismus, dass es
Hauptgestalt und Erzaehler eine teuflische Intelligenz in dem Koerper
eines Dreijaehrigen sein laesst, ein Monstrum, das sich der
Menschlichkeit mit Hilfe einer Spielzeugtrommel bezwingend naehert.
Der unvergessliche Oskar Matzerath ist ein Intellektueller mit der
Kindlichkeit als kritischer Methode, ein Einmannkarneval, der
Dadaismus, der im Alltag der deutschen Provinz in dem Augenblick
durchgefuehrt wird, als die kleine Welt in den Wahnsinn der grossen
Welt hineingezogen wird. Man wagt die Vermutung, dass "Die
Blechtrommel" zu den bleibenden literarischen Werken des zwanzigsten
Jahrhunderts gehoeren wird.
Guenter Grass hat sich als "Spaetaufklaerer" bekannt in einer Zeit, die
der Vernunft muede geworden ist. Er fabuliert und haelt gelehrte
Vortraege, er faengt Stimmen auf und monologisiert dreist, er ahmt nach
und schafft gleichzeitig eine ironische Mundart, die nur er
beherrscht. Durch seine Macht ueber die deutsche Syntax und seine
Bereitschaft, ihre labyrinthischen Feinheiten zu nutzen, erinnert er
an Thomas Mann. Sein schriftstellerisches Werk ist ein Dialog mit dem
grossen Erbe deutscher Bildung, der mit sehr strenger Liebe gefuehrt
wird.
Nach der "Blechtrommel" kehrte Grass in zwei untereinander sehr
unterschiedlichen Werken zum Thema Danzig zurueck. Die straffe
Erzaehlung "Katz und Maus" zeigt, wie die magische Freundschaft der
Knabenjahre untergeht, als die Kriegsspiele auf den wirklichen Krieg
treffen. Die "Hundejahre" sind Grass' modernistischstes Werk, ein
Text ohne bestimmbares Zentrum, ein Raum fuer Stimmen und ein
Treffpunkt fuer Fiebertraeume, die, wie sich zeigt, mit dem Leben
zusammenfallen.
In anderen Romanen waehlte Grass eine eher diskursive Linie und
plaedierte fuer den Zweifel und den guten Willen. In der oeffentlichen
Debatte seines Heimatlands ist er Kraftquell und Fels des AErgernisses,
aber fuer literarische Groessen draussen in der Welt wie Garcia Marquez,
Rushdie, Gordimer, Lobo Antunes und Kenzaburo Oe ein bewunderter
Vorgaenger.
Der Roman "Der Butt" bedeutete die Rueckkehr des grossen Stils in sein
schriftstellerisches Werk in Form einer Weltgeschichte, die
vollgestopft ist mit wahren Schnurren und hitzigen ideologischen
Diskussionen. Grass stellt die Entwicklung der Zivilisation dar als
einen Kampf zwischen verheerenden maennlichen Traeumen von Groesse und
weiblicher Kompetenz. Der Ausgang ist ungewiss. Der sprechende Butt,
den Gebruedern Grimm abgeworben, ist in seiner Eigenschaft als Ratgeber
der Frauen ein Weltgeist, wie Hegel sich ihn nie haette vorstellen
koennen. Der Erzaehler selbst bleibt dagegen eine notorisch
unzuverlaessige Mannsperson und rettet den Spielraum fuer Unartigkeiten,
ohne den die Kunst stirbt.
Die beiden Hauptgestalten in "Ein weites Feld", der ewige Humanist und
der ewige Spitzel, setzen vor dem Hintergrund des wilhelminischen
Deutschland und der heutigen Bundesrepublik das Verhaeltnis der
kuenstlerischen Phantasie zur Staatsmacht in Szene. Das Buch war ein
Zankapfel der deutschen Literaturkritik, aber befestigte die Stellung
des Schriftstellers als desjenigen, der die grossen Fragen an die
Geschichte unseres Jahrhunderts stellt. Sein letztes Buch "Mein
Jahrhundert" ist ein Kommentar, der das zwanzigste Jahrhundert
fortlaufend begleitet und einen besonderen Scharfblick fuer den
verdummenden Enthusiasmus zeigt. Der Spatenstich des Guenter Grass in
die Vergangenheit graebt tiefer als der der meisten, und er findet, wie
die Wurzeln des Guten und Boesen miteinander verschlungen liegen. Wie
in den "Hundejahren" festgestellt wird: "Als Gott noch zur Schule
ging, fiel ihm auf dem himmlischen Pausenhof ein, mit seinem
Schulfreund, dem kleinen begabten Teufel, die Welt zu erschaffen."
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