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SZ vom 23.11.2019: Was das Krokodil erzählt

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Date:

Fri, 22 Nov 2019 20:19:59 +0000

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Ein Artikel der digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 23.11.2019



http://sz.de/1.4693398



Feuilleton, 23.11.2019 



Weltwissen 



Was das Krokodil erzählt 

======================== 



Von Jens Bisky 



Im Jahr 1805 besuchte Alexander von Humboldt seinen älteren Bruder in Rom, der dort mit Frau und Kindern lebte, als Preußens Gesandter beim Heiligen Stuhl. Bei der Gelegenheit ging er auch in die Vatikanischen Museen und besah in der Sala degli animali antike Tierskulpturen, darunter ein Marmorkrokodil, das auf den ersten Blick lebensnah, naturgetreu wirkt. Doch war es damit nicht weit her. Alexander von Humboldt hatte während seiner legendären Amerikareise am Rio Magdalena Krokodile seziert. Er hielt in Zeichnungen fest, was sein Begleiter Aimé Bonpland durch Schnitte freigelegt hatte. Die anatomischen Details des Marmorkrokodils stimmten mit seinen Beobachtungen nicht überein. 



Die Kuratoren vertrauen der Kraft der Objekte 

--------------------------------------------- 



In der Wilhelm-und-Alexander-von-Humboldt-Ausstellung des Deutschen Historischen Museums sind die antike Skulptur und die anatomischen Zeichnungen nebeneinander zu sehen. Das Nebeneinander passt gut zum Forscher Humboldt, der viel Zeit dafür aufwandte, der Geschichte der Naturerkenntnis und der Weltbilder nachzuspüren. Und es charakterisiert die Art, in der diese Ausstellung erzählt. Die Kuratoren Bénédicte Savoy und David Blankenstein vertrauen der Kraft der Objekte, der Kunstwerke, Skizzen, Manuskripte, Bücher. Sie missbrauchen sie nicht zur Illustration vorgefasster Meinungen, sondern nutzen sie, Fragen zu stellen, konkret, anschaulich. 



Wie sehr es ihnen darauf ankommt, in die vergangene Welt einzutauchen, diese in ihrer Eigenart und Fremdheit kennenzulernen, spüren Besucher an der Geruchsstation. Sie können dort unter anderem einen Herrenduft der Zeit oder das mexikanische Nationalgetränk Pulque riechen; das Parfüm ist angenehm, der Duft des Getränks dagegen ist gewöhnungsbedürftig. Die Botschaft wird spielerisch deutlich: Steck deine Nase in all die überlieferten Sachen, lass dich nicht mit Floskeln abspeisen, du kannst es genauer wissen. 



Was heißt es, mit Federkiel zu schreiben, weite Strecken zurückzulegen, mit dem eigenen Körper und Tieren zu experimentieren, Sprachen zu studieren, Wissenschaft zu organisieren, in einer Zeit des revolutionären Aufbruchs und nicht enden wollender Kriege zu leben? Sie interessieren sich für Praktiken und Geschichten. 



Auf diese Weise, das langweilende Anschwärmen der großen Männer vermeidend, wird die Welt der Humboldts interessant. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hat das Berliner Humboldt-Forum scharf wie niemand sonst attackiert, sie hat für den französischen Präsidenten an einem Bericht zur Rückgabe geraubter Kunst an die Herkunftsländer gearbeitet. Auch die Humboldt-Ausstellung ist eine kritische, dies aber nicht im Sinne spätgeborener Mäkelei, sondern durch Information und genaue Unterscheidung. Immer neue Kontexte werden aufgespannt, Dissens wird klar formuliert: Das sehen wir heute anders. 



Der Rundgang wird zur Entdeckungsreise. Er beginnt im Berlin des späten 18. Jahrhunderts, mit Karten und Lehrbüchern, anhand derer die Brüder unterrichtet wurden. Vom 13-jährigen Alexander sind geografische Zeichnungen zu sehen, eine Leihgabe aus London. Und dann tritt man in die intellektuell wie erotisch aufgeladene Atmosphäre der geselligen Zusammenkünfte bei Henriette Herz. Wie viele andere schwärmte Wilhelm von Humboldt für sie. Von ihr lernte er, deutsche Sätze in hebräischer Kurrentschrift zu schreiben, in so verfassten Chiffrenbriefen schilderte er sexuelles Erwachen, erste Erfahrungen mit der Lust. 



"Politische Schlachtfelder" ist die dritte Abteilung überschrieben. Es geht um Reaktionen auf die Französische Revolution: Alexander reist an der Seite Georg Forsters nach Paris, Wilhelm macht sich Gedanken über die Begrenzung staatlicher Macht. Beide besetzen in den folgenden Jahrzehnten Schlüsselpositionen in der schmalen preußischen Führungsschicht. 1815 verhandelt Wilhelm von Humboldt in Wien mit über die Neuordnung Europas. Der Prunkstuhl, auf dem er während des Wiener Kongresses saß, wurde nach dessen Ende auf dem nordirischen Landsitz des britischen Außenministers aufbewahrt. Jetzt ist er neben den Stühlen Hardenbergs und Metternichs in Berlin zu sehen, und man erfährt auch, dass Nonnen in Nantes das Humboldt'sche Wappen für die Stuhlbespannung stickten; es handelt sich also um ein tatsächlich europäisches Erinnerungsstück. 



Wie den Zeitgenossen der Kontinent erschien, verrät das Brettspiel "The Panorama of Europe. A New Game". 40 Stadtveduten sind die Stationen auf dem Spielfeld, es gilt, von Porto nach London zu gelangen. Wen der Kreisel auf das Feld Leipzig führt, der muss vier Runden aussetzen, zur Erinnerung an die Toten der Völkerschlacht. 



Aufbruch, Umbruch und der Versuch, die Welt zu ordnen 

----------------------------------------------------- 



Die Ausstellung bemüht sich, beiden Brüdern gerecht zu werden. Sie zeigt, dass Wilhelm, während sein Bruder Amerika durchstreifte, ebenso viele, wenn nicht noch mehr Kilometer in Europa hinter sich brachte. Ein Cacolet, das ist ein imposanter Reitsattel aus dem Baskenland, verdeutlicht die Beschwerlichkeiten, auch haben die Kuratoren Zeichnungen und Gemälde des Malers aufgetrieben, den Wilhelm und die schwangere Caroline von Humboldt auf dem Weg nach Spanien trafen. Baskisch war die erste nichtindogermanische Sprache, die Wilhelm von Humboldt studierte. Die Geräte, die sein Bruder erfand, dessen Mitbringsel von den Reisen nach Amerika und Russland, sind jedoch eindrucksvoller als die Manuskripte. 



Am Ende führt die Ausstellung wieder nach Berlin. Wilhelm von Humboldt, politisch kaltgestellt, lässt sich von Karl Friedrich Schinkel die klassizistische Trutz- und Studienburg Schloss Tegel errichten und kümmert sich dann Ende der Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts um die Einrichtung eines Kunstmuseums. 



Alexander von Humboldt begeistert in der Sing-Akademie alle Stände mit seinen Kosmos-Vorlesungen. Warum sieht man erst jetzt, in dieser Ausstellung, den Schreibtisch, an dem er sie schrieb? Über dreißig Jahre saß er daran. Er vermachte ihn - wie Bücher, Karten, Möbel - seinem Diener, der das Erbe im Ganzen verkaufen sollte. Doch fand sich in Preußen kein Käufer. Zwar war der Ruhm des Verstorbenen groß, aber vielen Zeitgenossen schien der Verstorbene zu franzosenfreundlich gewesen zu sein, wohl auch zu liberal. So kam Alexander von Humboldts Nachlass in eine Auktion, ein niederländischer Gelehrter portugiesischer Herkunft und jüdischen Glaubens kaufte Tisch und Schreibutensilien. Später wurden sie der Académie des Sciences übergeben. Seit 1883 stehen sie in der Pariser Sternwarte - und jetzt für die Monate der Ausstellung im Deutschen Historischen Museum. So wie ihre Protagonisten Material zusammentrugen, wo sie nur konnten, haben Bénédicte Savoy und David Blankenstein über Europa und die Welt verstreute, oft kaum bekannte Objekte ausfindig gemacht und so arrangiert, dass sie neue Geschichten erzählen: von Aufbruch, Umbruch, Detailversessenheit und Ordnungsversuchen. 



Wilhelm und Alexander von Humboldt.  Berlin, Deutsches Historisches Museum. Bis 19. April 2020. Der Katalog kostet 28 Euro. 





Jens Bisky 

========== 

geboren 1966 in Leipzig, Studium der Germanistik und Kulturwissenschaft in Berlin; Promotion mit einer Arbeit über die "Poesie der Baukunst". Nach dem Studium Feuilletonredakteur bei der Berliner Zeitung, seit 2001 im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung; dort unter anderem verantwortlich für Sachbücher und Hörbücher und Berichte über kulturpolitische und Berliner Themen. Bücher zur Zeitgeschichte ("Geboren am 13. August", "Die deutsche Frage"). Im Jahr 2007 erschien "Kleist. Eine Biographie". 



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