Ein Artikel der digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 25.09.2018
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Titelseite, 25.09.2018
Glosse
Das Streiflicht
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(SZ) Napoleon, das war noch ein Frühstücksdirektor! In Erfurt empfing der französische Kaiser am 2. Oktober 1808 Johann Wolfgang von Goethe zum petit déjeuner, wobei die Zuschreibung "petit" hier natürlich unschicklich ist. Immerhin saß der Weltgeist zu Tische, und der Weltgeist aus Weimar war auch da. Napoleon jedenfalls frühstückte im Audienzzimmer, als Goethe eintrat, und schmierte seinem Gast reichlich Honig ums Dichtermaul. Erst die Begrüßung - "Voilà un homme!" -, dann das Bekenntnis, den Werther siebenmal gelesen, ach was, verschlungen zu haben. Es folgte eine gepflegte Konversation über das Theater, Cäsar, den Propheten Mohammed. Schwere Kost für den Rest der Menschheit, leichte Amuse-Gueules für diese beiden Männer. Rückblickend ist dieser Morgen in Erfurt als Höhepunkt der europäischen Frühstückskultur anzusehen.
Nach dem Höhepunkt, das weiß man, geht es bergab. Das Frühstück ist längst nicht mehr die Knospe des Tages, wie einst Novalis sagte. Es ist nach dürren Jahrzehnten verwelkt und da angelangt, wo das Frühstücksfernsehen wartet: Je schneller es vorbei ist, desto besser. Vergangen die Zeiten, als man sich an einem Dienstagmorgen Zeit nahm, um die Eieruhr zu stellen, das Brot goldbraun zu toasten und den Kaffee im Sitzen zu schlürfen, begleitet von anregender Tischunterhaltung mit der Familie, Goethe oder der Zeitung. Heute wird das Frühstück übersprungen oder im Vorbeigehen erledigt, da haben alle Kampagnen nichts gebracht. Iss morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König und abends wie ein Bettelmann? Kaiserlich wird morgens höchstens noch gebruncht. Und die jungen Werthers von heute wissen vermutlich gar nicht mehr, wie labend ein Frühstück sein kann, wenn es aus mehr besteht als einem Pappbecher heißen Kaffees, der im Schein des Smartphonelichts hineingelitert wird wie Benzin in einen Sportwagen.
Am härtesten trifft der Niedergang des Morgenmahls dessen Zeremonienmeister: die Frühstücksdirektoren. Geboten sie einst über ein Reich aus Genuss und Kultur, müssen sie sich heute da einreihen, wo Übelmeinende sie schon früher zu Unrecht vermuteten: zwischen den Grüßaugusts, Spatenstechern und Banddurchschneidern dieser Welt. Dieser Klub hat nun also ein neues Mitglied, wie der morgens mutmaßlich intervallfastendende FDP-Chef Christian Lindner per Twitter verriet: Hans-Georg Maaßen. Wer nun aber befürchtet, der Nicht-mehr-Verfassungsschutzpräsident und Doch-nicht-Staatssekretär müsse künftig Coffee to go im Foyer des Innenministeriums feilbieten, der sei mit Verweis auf Napoleon beruhigt. Der empfing Goethe nicht zum, sondern beim Frühstück: Während der Kaiser speiste, gab es für den Dichter nicht mal eine Tasse Tee. Ich genieße, ihr schaut zu - auf diese Weise könnte auch Maaßen eine Portion Selbstherrlichkeit in das neue Amt retten.
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