JiscMail Logo
Email discussion lists for the UK Education and Research communities

Help for GERMAN-STUDIES Archives


GERMAN-STUDIES Archives

GERMAN-STUDIES Archives


GERMAN-STUDIES@JISCMAIL.AC.UK


View:

Message:

[

First

|

Previous

|

Next

|

Last

]

By Topic:

[

First

|

Previous

|

Next

|

Last

]

By Author:

[

First

|

Previous

|

Next

|

Last

]

Font:

Proportional Font

LISTSERV Archives

LISTSERV Archives

GERMAN-STUDIES Home

GERMAN-STUDIES Home

GERMAN-STUDIES  August 2018

GERMAN-STUDIES August 2018

Options

Subscribe or Unsubscribe

Subscribe or Unsubscribe

Log In

Log In

Get Password

Get Password

Subject:

NZZ Artikelempfehlung: Gebaut, um die Deutschen deutscher zu machen: Die Walhalla

From:

Henrike Laehnemann <[log in to unmask]>

Reply-To:

Henrike Laehnemann <[log in to unmask]>

Date:

Sun, 19 Aug 2018 19:15:03 +0000

Content-Type:

text/plain

Parts/Attachments:

Parts/Attachments

text/plain (1 lines)



Dieser Artikel wird Ihnen empfohlen: https://www.nzz.ch/feuilleton/gebaut-um-die-deutschen-deutscher-zu-machen-die-walhalla-ist-die-urform-deutscher-leitkultur-ld.1410195

Gebaut, um die Deutschen deutscher zu machen: Die Walhalla



Der deutsche Identitätsdiskurs ist kompliziert, und das nicht erst seit dem Nationalsozialismus. Dafür steht auch Deutschlands kuriosestes Nationaldenkmal in Donaustauf bei Regensburg.



Benedict Neff, Regensburg

14.8.2018, 05:30 Uhr



Über eine Frage haben sich die Deutschen schon immer gerne gestritten: Was ist deutsch, was ist die kollektive Identität? In den Debatten um Integration und Leitkultur wird diese Frage immer wieder aktualisiert. Für Aussenstehende ist der Diskurs um das Deutschsein, das Nichtdeutschseinwollen und das Nichtdeutschseinkönnen ein grosses Schauspiel. Bundeskanzler Helmut Kohl versuchte die britische Premierministerin Margaret Thatcher einmal davon zu überzeugen, dass er sich mehr als Europäer fühle denn als Deutscher. Nach der Begegnung meinte Thatcher zu ihren Leuten: «Dieser Mann ist so deutsch.

Der deutsche Identitätsdiskurs ist kompliziert, und das nicht erst seit dem Nationalsozialismus. Lange sah es nicht so aus, als gebe es jemals einen deutschen Staat. Friedrich Schiller schrieb mit dem «Wilhelm Tell» das Nationalepos der Schweiz; seinen eigenen Landsleuten beschied er: «Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens; Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.» Anfang des 20. Jahrhunderts näherte sich Thomas Mann der Frage nicht optimistischer. Der Begriff «deutsch» sei ein «Abgrund, bodenlos».



Das Wunder der Deutschwerdung



In der Nähe von Regensburg steht ein Bau, der sich all diesen Zweifeln entgegenstellen will. Der bayrische König Ludwig I. liess auf dem Bräuberg an der Donau die Walhalla errichten. In diesem Tempel sollten nach seinem Willen die Büsten der grössten Deutschen versammelt werden. Ludwigs Vorstellung war es, «dass teutscher der Teutsche» aus der Walhalla trete. Allein das Anschauen der Büsten sollte das Wunder der Deutschwerdung bewirken. Die heutige Politik würde von einem Leuchtturmprojekt sprechen.



Die Idee für das utopische Denkmal entstand aus einem Minderwertigkeitskomplex. Napoleon demütigte die Deutschen mit seinen Feldzügen, eine eigene Nation war Anfang des 19. Jahrhunderts nicht in Sicht; es gab zu jener Zeit nicht viel mehr als eine deutsche Sprache. Diese machte Ludwig I. auch zum Kriterium für eine Aufnahme in den Tempel. «Teutscher Zunge» müsse man sein, um ein Walhalla-Genosse zu werden. Alles andere spiele keine Rolle. In der Walhalla bestehe Gleichheit, da der Tod jeden irdischen Unterschied auflöse.



Ein undeutscher deutscher Ort



Der Architekt Leo von Klenze liess sich bei der Gestalt des Denkmals vom Parthenon auf der Akropolis inspirieren, der Name Walhalla erinnert an das Kriegerparadies in der nordischen Mythologie. Die Büsten wiederum stellen nicht nur Deutsche, sondern auch Niederländer, Österreicher und Schweizer dar; entscheidend ist die Sprache. Den Kunsthistoriker Jörg Traeger veranlasste dies zur Bemerkung, dass kaum ein Ort auf der Welt weniger deutsch sei als die Walhalla. 1842 wurde der Bau fertiggestellt, mit 96 Büsten und 64 Gedenktafeln. Letztere wurden für all jene Helden angefertigt, deren Gesichtszüge nicht bekannt sind.



Schon zu Ludwigs Zeiten reizte dieses eigenwillige Bauwerk zu Kritik und Spott. Der Dichter Heinrich Heine sprach von einer «marmornen Schädelstätte», Fürst Metternich sah einen «Wald von abgeschnittenen Köpfen» und viel Geld, das aus dem Fenster geworfen wurde. Der Schweizer Historiker Jacob Burckhardt war dem dorischen Tempel zwar zugetan, beanstandete aber die «infamen Treppenmassen», die drei Viertel des Gebäudes ausmachten. Tatsächlich machen sie sehr viel mehr aus: Ein zwanzig Meter hoher Tempel steht auf einem Treppenunterbau von hundert Metern. Nähert man sich der Walhalla von Regensburg her mit dem Schiff, so wirkt sie wie eine groteske Vision. Ein Bau, so entrückt wie die Büsten selbst, die im Innern mit leeren Augen vor sich hin starren.



Heines «Marmorne Schädelstätte»



Die wahre Provokation des Denkmals ist aber seine ständige Aktualisierung. Alle fünf bis sieben Jahre kommt eine neue Büste hinzu. Der Zeitgeist verändert die Walhalla. Ungemütliche Kriegergestalten wie die Brüder Horsa und Hengest werden so zusammen mit Sophie Scholl, einer Kämpferin gegen den Nationalsozialismus, geehrt. Kombiniert wird das mit Friedrich Ludwig Jahn, dem sogenannten Turnvater, bei dem Juden nicht vorturnen durften. Auch der Erfinder der Taschenuhren, die Seherin Veleda und der Sternkundige Henschel sind vertreten. Kant, Schiller, Goethe sowieso. Bei der ursprünglichen Besetzung liess sich Ludwig I. vom Schaffhauser Historiker Johannes von Müller beraten. So sind auch einige Schweizer dabei, unter ihnen Bruder Klaus, Winkelried und «die drei Männer von Rütli». Es ist eine politisch-unkorrekte Collage von Geschichte. Der jüngste Walhalla-Genosse ist Heinrich Heine, jener deutsche Dichter, der mit Ludwigs Büstenherberge so gar nichts anfangen konnte.



Alle fünf bis sieben Jahre kommt eine neue Büste hinzu. So ist hier Sophie Scholl neben Turnvater Jahn vertreten. (Bild: Bayerische Schlösserverwaltung)



Das Reglement besagt, dass ein Held frühestens zwanzig Jahre nach seinem Tod in die Walhalla aufgenommen werden kann. Es ist hauptsächlich diesem Umstand geschuldet, dass der Nationalsozialismus an ihr fast spurlos vorbeigegangen ist. Für die Nazis waren die Fristen zu lang. Aber naturgemäss zeigten sie ein Interesse an diesem Gedenkort. 1937 nutzten sie die Walhalla für eine grosse Propaganda-Show. 800 Chorsänger empfingen Adolf Hitler, der für die Enthüllung der Büste des österreichischen Komponisten Anton Bruckner angereist war.



Werbung ist erwünscht



Gepflegt wird das Denkmal von der Bayerischen Schlösserverwaltung, die dem Finanzministerium angegliedert ist. Die Walhalla ist zwar kein Schloss, aber weil das Gebäude seit kurzem zur Schlösserverwaltung gehört, heisst der Chef nicht Verwalter, sondern Kastellan. Mit ihm zu reden, sei möglich, erklärt die Pressestelle. Positive Berichte und Werbung, fügt die Dame am Telefon hinzu, seien kein Problem. Vielleicht ist in dieser Ansage noch ein Kern von Ludwigs Anliegen geblieben, nämlich die Vorstellung, dass es sich um einen quasisakralen Ort handelt, über den man nicht irgendwie schreibt, sondern freundlich.



Er sei sehr stolz, hier zu arbeiten, sagt Alfons Eich, der Kastellan der Walhalla, während wir die Büsten abschreiten. Einen Lieblingskopf habe er nicht, aber eine Lieblingsstelle. Es sei die Südseite, von da komme die Morgensonne. Überhaupt sei die Walhalla am Morgen am schönsten, wenn der Marmor rot leuchte. Dass ihm die älteren Büsten mit ihren lebensechten Zügen besser gefallen, sagt Herr Eich nicht, aber man hört es ein wenig heraus. Der Respekt vor der Walhalla verbietet solche Bemerkungen. Allgemein wird deutlich, dass sich Künstler unserer Zeit nicht mehr allzu häufig mit Büsten beschäftigen müssen. Das 19. Jahrhundert war noch im Büstenfieber, diese Kunstform hat sich weitgehend verwirkt. Einstein sieht in der Walhalla eher aus wie eine Playmobilfigur.



Die Politik der Büsten



In der Halle herrsche eine andächtige Stimmung, sagt Herr Eich, und wenn dies nicht so sei, dann sorge das Personal dafür, dass es andächtiger werde. Seine Uniform trägt Herr Eich gerade nicht, weil er draussen zu tun gehabt habe; dafür ein weites rotes Poloshirt und ein grosses Kreuz um den Hals. 2003 wurde er Abwart in der Walhalla, er ist mit den Lüftungsschächten daher fast vertrauter als mit den Schädeln. Herr Eich redet nicht viel, und wenn ihm eine Frage ansatzweise heikel erscheint, ähnelt er den Büsten. Er schweigt. Das betrifft auch die Platzpolitik in der Walhalla. Vier Plätze sind noch frei. Was dann geschieht, ist unklar: Rücken die Büsten auf den Regalen näher zusammen, oder gibt es neue Ablageflächen? Herr Eich meint, es blieben noch mindestens zwanzig Jahre Zeit, um solche Fragen zu erörtern. Die Zeit geht langsamer in Walhalla.



Wer in den deutschen Himmel kommt, bestimmt der Bayerische Ministerrat. Man könnte auch sagen: die CSU. Seit 1946 regiert sie mehr oder minder durch. Allerdings folgt sie bei der Büstenauswahl der Empfehlung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Vorschläge machen kann jeder, die Büste aus Carraramarmor muss dann aber auch selber bezahlt werden. Das kostet um die 50 000 Euro, Feier zur Büstenenthüllung inklusive.



Ärger mit den Walhalla-Genossen



Fast schon merkwürdig ist, dass der CSU-Hausgott Franz Josef Strauss nicht in der Walhalla steht. Als Markus Söder noch bayrischer Finanzminister war, brachte er Strauss ins Spiel. Konrad Adenauer, der erste deutsche Bundeskanzler, sei schon in der Walhalla, da würde «FJS» als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten sehr gut passen. Die SPD zeigte sich kritisch: Wieso muss ausgerechnet eine Person geehrt werden, die für Vetternwirtschaft und fragwürdige Rüstungsgeschäfte steht?



Die Auswahl der Büsten gab schon immer zu reden: zu wenige Frauen, zu viele Katholiken, zu wenige Bayern, Luther nicht von Anbeginn dabei, und wo ist eigentlich Thomas Mann?



«Bitte keine neuen Büsten» lautete die Überschrift eines Leserbriefs vom 7. Oktober 2015 in der «Süddeutschen Zeitung». Manche Bayern scheinen von der Walhalla allmählich genug zu haben, zumindest von diesem anstrengenden, lebendigen Denkmal, das von der Öffentlichkeit stets von neuem eine Meinung einzufordern scheint: Was ist eigentlich deutsch, und ist es auch verehrenswürdig? Es gibt den Wunsch, die Geschichte abzuschliessen. Dann würde sich auch die Frage nicht mehr stellen, ob all diese Büsten überhaupt zusammenpassen. Aber genau diese Ruhe schien Ludwig I. nie gewollt zu haben; und so geht das Theater weiter, und der Bayerische Ministerrat steht pflichtschuldig zu Walhallas Diensten. Als Nächstes ziehen Käthe Kollwitz und dann Max Planck in die Walhalla ein.



150 000 Menschen besuchen das Denkmal jedes Jahr, deutscher sind sie dabei kaum geworden. Aber vergessen werden sie die Walhalla wohl nicht.

Neue Zürcher Zeitung

https://www.nzz.ch

© Neue Zürcher Zeitung AG - Alle Rechte vorbehalten



########################################################################



To unsubscribe from the GERMAN-STUDIES list, click the following link:

https://www.jiscmail.ac.uk/cgi-bin/webadmin?SUBED1=GERMAN-STUDIES&A=1

Top of Message | Previous Page | Permalink

JiscMail Tools


RSS Feeds and Sharing


Advanced Options


Archives

April 2024
March 2024
February 2024
January 2024
December 2023
November 2023
October 2023
September 2023
August 2023
July 2023
June 2023
May 2023
April 2023
March 2023
February 2023
January 2023
December 2022
November 2022
October 2022
September 2022
August 2022
July 2022
June 2022
May 2022
April 2022
March 2022
February 2022
January 2022
December 2021
November 2021
October 2021
September 2021
August 2021
July 2021
June 2021
May 2021
April 2021
March 2021
February 2021
January 2021
December 2020
November 2020
October 2020
September 2020
August 2020
July 2020
June 2020
May 2020
April 2020
March 2020
February 2020
January 2020
December 2019
November 2019
October 2019
September 2019
August 2019
July 2019
June 2019
May 2019
April 2019
March 2019
February 2019
January 2019
December 2018
November 2018
October 2018
September 2018
August 2018
July 2018
June 2018
May 2018
April 2018
March 2018
February 2018
January 2018
December 2017
November 2017
October 2017
September 2017
August 2017
July 2017
June 2017
May 2017
April 2017
March 2017
February 2017
January 2017
December 2016
November 2016
October 2016
September 2016
August 2016
July 2016
June 2016
May 2016
April 2016
March 2016
February 2016
January 2016
December 2015
November 2015
October 2015
September 2015
August 2015
July 2015
June 2015
May 2015
April 2015
March 2015
February 2015
January 2015
December 2014
November 2014
October 2014
September 2014
August 2014
July 2014
June 2014
May 2014
April 2014
March 2014
February 2014
January 2014
December 2013
November 2013
October 2013
September 2013
August 2013
July 2013
June 2013
May 2013
April 2013
March 2013
February 2013
January 2013
December 2012
November 2012
October 2012
September 2012
August 2012
July 2012
June 2012
May 2012
April 2012
March 2012
February 2012
January 2012
December 2011
November 2011
October 2011
September 2011
August 2011
July 2011
June 2011
May 2011
April 2011
March 2011
February 2011
January 2011
December 2010
November 2010
October 2010
September 2010
August 2010
July 2010
June 2010
May 2010
April 2010
March 2010
February 2010
January 2010
December 2009
November 2009
October 2009
September 2009
August 2009
July 2009
June 2009
May 2009
April 2009
March 2009
February 2009
January 2009
December 2008
November 2008
October 2008
September 2008
August 2008
July 2008
June 2008
May 2008
April 2008
March 2008
February 2008
January 2008
December 2007
November 2007
October 2007
September 2007
August 2007
July 2007
June 2007
May 2007
April 2007
March 2007
February 2007
January 2007
December 2006
November 2006
October 2006
September 2006
August 2006
July 2006
June 2006
May 2006
April 2006
March 2006
February 2006
January 2006
December 2005
November 2005
October 2005
September 2005
August 2005
July 2005
June 2005
May 2005
April 2005
March 2005
February 2005
January 2005
December 2004
November 2004
October 2004
September 2004
August 2004
July 2004
June 2004
May 2004
April 2004
March 2004
February 2004
January 2004
December 2003
November 2003
October 2003
September 2003
August 2003
July 2003
June 2003
May 2003
April 2003
March 2003
February 2003
January 2003
December 2002
November 2002
October 2002
September 2002
August 2002
July 2002
June 2002
May 2002
April 2002
March 2002
February 2002
January 2002
December 2001
November 2001
October 2001
September 2001
August 2001
July 2001
June 2001
May 2001
April 2001
March 2001
February 2001
January 2001
December 2000
November 2000
October 2000
September 2000
August 2000
July 2000
June 2000
May 2000
April 2000
March 2000
February 2000
January 2000
December 1999
November 1999
October 1999
September 1999
August 1999
July 1999
June 1999
May 1999
April 1999
March 1999
February 1999
January 1999
December 1998
November 1998
October 1998
September 1998


JiscMail is a Jisc service.

View our service policies at https://www.jiscmail.ac.uk/policyandsecurity/ and Jisc's privacy policy at https://www.jisc.ac.uk/website/privacy-notice

For help and support help@jisc.ac.uk

Secured by F-Secure Anti-Virus CataList Email List Search Powered by the LISTSERV Email List Manager