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19. Juli 2018, 19:43 Uhr Reden wir über Geld mit Robert Schneider. "Erfolg verändert. Misserfolg übrigens auch"
Von Lars Langenau
Robert Schneider schreibt: "Der Sturm hat mein Telefon gekappt, was sehr angenehm ist. Ich zögere, die Telekom zu kontaktieren." Das ist seine erste Antwort, ein paar Wochen später "ist der kaputte Splitter meines Telefons noch immer nicht ausgetauscht. Einfach fantastisch! Meine Frau springt im Karree, aber ich finde es klasse." Beim Treffen in einem Gasthaus in Götzis grüßen den 57-Jährigen ständig Leute aus dem kleinen Nest in Vorarlberg: "Oh Robert!", "Ich führe gerade ein Interview", "Über ein neues Buch?", "Nein, momentan schreibe ich nicht, ich habe doch drei kleine Buben. Wie heißt es? Willst du etwas gelten, mach dich selten!"
SZ: Herr Schneider, reden wir über Geld. Sie sind Schriftsteller und haben seit Jahren kein Buch veröffentlicht. Können Sie noch von den Tantiemen für "Schlafes Bruder" leben?
Robert Schneider: Nein, das Geld der Neunzigerjahre ist versiegt. Außerdem überschätzen Sie, was einem Autor nach Abzug der Steuern wirklich bleibt. Freilich, ich lebte in jener Zeit gut, sehr gut sogar. Ich stand auf dem Standpunkt, dass das Geld mir zu dienen hat, nicht ich ihm. Heute verdiene ich etwas mit einer Zeitungskolumne, schreibe Werbetexte für eine örtliche Sport- und Modefirma. Das sind Fingerübungen, die mir Freude bereiten.
Das Haus, in dem Sie leben, haben Sie geerbt?
Alles ist geliehen, auch wenn man glaubt, es zu besitzen. Im Gegensatz zu mir war mein Vater ein unglaublich sparsamer Mensch. Das Reden über Geld hatte in unserem Haus immer etwas Niederziehen-des, Bedrückendes. Ich habe das gehasst und nicht verstanden, weshalb mein Vater keine Freude hatte an seinem sauer verdienten Geld.
Verdient also Ihre Frau das Geld?
Das war part of the deal. Ich, der nie Kinder haben wollte, der sich bei der Geburt unserer Söhne aber unsterblich in sie verliebt hat, bin jetzt Vater und Hausmann. Meine Frau ist Kapitänin bei der Lufthansa. Ich erinnere mich: Als sie mich aus New York anrief und sagte, dass sie schwanger sei, fiel mir nur ein Wort ein: Lebenslänglich! Dieses "lebenslänglich" ist zu den schönsten Jahren meines Lebens geworden.
Verstehen Sie sich noch als Schriftsteller?
Das ist man immer oder nie. Das ist eine Haltung der Sprache gegenüber. Also bin ich Schriftsteller, auch wenn ich nichts schreibe. Neulich traf ich meinen alten Verleger, der meinte, ich würde vergessen werden, wenn ich kein Buch mehr schreibe. Es ist nicht schlecht, vergessen zu sein, antwortete ich. Das Glück meines Lebens hängt nicht an einem Buch.
Seit ein paar Jahren sind Sie auch Dokumentarfilmer.
Weil ich Gesichter liebe - das menschliche Antlitz. Die Digitalisierung des Fernsehens hat ehemals kostspielige Arbeitsprozesse sehr rentabel gemacht. Ich habe mich zum Kameramann, Cutter und Tonbearbeiter ausbilden lassen. Die Musik zu meinen Filmen komponiere ich selbst. Was im Bereich des sogenannten Samplings heute möglich ist, ist einfach phänomenal.
Sie komponieren selbst?
Ja, ich habe Komposition in Wien studiert, dann allerdings auf Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte umgesattelt, weil ich mich in der Neuen Musik nicht ausdrücken konnte. Sie berührte mein Herz nicht. Musik muss aber berühren, wenigstens irritieren, wie alle Kunst. Also beschloss ich mit 24 Jahren, Schriftsteller zu werden, sehr zum Entsetzen meines Vaters. Ich bewarb mich Jahr für Jahr um irgendein Literaturstipendium und bekam es auch. Die radikalste, klarste und auch schönste Ausdrucksform aber bleibt die Literatur. Und darin das Gedicht.
Warum?
Weil es dafür nichts und alles braucht. Ich bin einmal Umberto Eco begegnet, der mir einen wunderschönen Satz sagte: "Als Schriftsteller braucht man nur ein Blatt Papier und einen Bleistift."
Stimmt es, dass Sie seit Jahren immer mal wieder einen neuen Roman beginnen und ihn dann nach ein paar Seiten wieder beiseitelegen?
Ich habe drei angefangen, bis ich feststellte, es besteht keine Notwendigkeit, eines dieser Bücher zu schreiben. Die Not hat sich gewendet, um bei dem Wort zu bleiben. Ein Stoff muss lange in mir wohnen, bis ich würdig bin - um dieses schöne alte Wort zu gebrauchen -, ihn zu bewältigen. Ich bewundere Kollegen, die jedes Jahr einen Roman schreiben. Gleichzeitig misstraue ich dieser Art Rhythmus. Ich muss ein Buch erwarten können, und dieses Warten dauert nun schon elf Jahre.
Was für ein Buch dürfen wir erwarten?
Ein Thema, das mich seit vielen Jahren begleitet, ist der Topos des "Wiederkehrenden", also wie in einer sich äußerlich wandelnden Gesellschaft trotzdem wieder Phänomene auftauchen, die man für überwunden glaubte. Retardierende Strömungen etwa. Aber ich bin eben noch nicht so weit. "Schlafes Bruder" ruhte vielleicht schon immer in mir - das Thema des Nicht-Gesehenwerdens -, bis es dann mit Ende zwanzig in nur vier Monaten aus mir herausmusste. Das Buch hat mich geschrieben, nicht ich es. "Kristus", mein historischer Roman über die Wiedertäufer von Münster, bedeutete hingegen vier Jahre Recherche und ein Jahr qualvolles Schreiben.
24 Verlage lehnten das Manuskript Ihres Weltbestsellers "Schlafes Bruder" ab. Wie sind Sie mit der Frustration umgegangen?
Ich hatte immer die Gnade, auf Rückschläge mit Optimismus zu reagieren. Also war es nicht wirklich frustrierend. Rückblickend kann ich die vielen Absagen sehr wohl nachvollziehen. Etwa, dass die Kunstsprache dieser Novelle und die Verschrobenheit der Charaktere maximal für eine regionale Verbreitung sprechen würden. Ich wurde mit zwei Jahren zur Adoption freigegeben, kenne meine wirklichen Eltern nicht. Vielleicht habe ich damals beschlossen, den Optimismus zu wählen, also das Leben, und nicht den Untergang. Da ich nicht gewollt und nicht geliebt war, entschied ich, mich selbst zu mögen. Das war reine Überlebensstrategie. Ich hatte also die Chuzpe, wirklich an meinen Erfolg zu glauben.
"Wie ein tumber Tor torkelte ich aus meinem Bergdorf"
Haben Sie sich je auf die Suche nach Ihren leiblichen Eltern gemacht?
Es war mir nie ein Bedürfnis, meiner Frau allerdings schon. Im Internet fand sie das Bild eines Mannes, der so aussieht wie ich, nur 30 Jahre älter. Ich ahnte sofort: Das ist mein Erzeuger, verspürte aber noch immer keine Lust, ihn kennenzulernen. Meine Frau ist der Auffassung, ich hätte das alles ganz virtuos verdrängt und tue nur so gelassen. Wäre es mir jemals ein Anliegen gewesen, meine wirklichen Eltern ausfindig zu machen, hätte ich das längst getan. Ich bin kein Verfechter der These: Zeige mir deine Eltern, und ich weiß, wer du bist. Das Umgekehrte trifft zu. Das sehe ich an unseren drei kleinen Kindern, die so unterschiedlich sind, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Das Problem bei solcherart Spurensuche ist, dass man eine Erklärung, eine Entschuldigung für das eigene Sosein finden will. Eine Art Absolution. Die wird man nicht bekommen, weil man irgendwann im Leben selbst Verantwortung für sich tragen muss. In diesem Sinn sind meine verstorbenen Zieheltern bis heute meine wirklichen Eltern, weil sie Verantwortung getragen haben.
Ihr Debüt wurde von der Kritik völlig missachtet und nachher in 36 Sprachen übersetzt.
Der Erfolg kam nach und nach über Empfehlungen von Buchhändlern. Als ein gewisser Peak erreicht war, wurde es zum Selbstläufer. Einen richtigen Auftrieb erlebte es 1995 mit dem gleichnamigen Film von Joseph Vilsmaier. Zeitgleich kam eine Oper heraus, ein Ballett, ein Theaterstück, usw. Es nahm seinen Lauf.
Wie viel Autobiografisches steckt in "Schlafes Bruder"?
Alles. Das Buch erzählt nur von mir: das Aufwachsen in der abgeschiedenen dörflichen Enge, das Verkennen eines Talents.
Sie haben "Schlafes Bruder" mit 31 veröffentlicht. Wie hoch war die Gefahr, dass Sie ob des Erfolges überschnappten?
Wie ein tumber Tor torkelte ich damals aus meinem Bergdorf mit 70Einwohnern in die Welt. Erfolg verändert, ob man es wahrhaben will oder nicht. Misserfolg übrigens auch. Dennoch blieb mein Dorf der einzige Ort, wo ich geerdet war. Diesem Ort verdanke ich alles. Gewiss gelte ich hier als Sonderling, andererseits finden es die Leute im Dorf unbegreiflich, dass ich hiergeblieben bin. Das hat mir viel Achtung eingebracht. Ich empfinde es als Luxus, ein Leben lang an einem Ort wohnen zu bleiben. Das ist ein Rhythmus, den viele nicht mehr kennen und vielleicht auch gar nicht ertragen würden. Ich war nie ein Städter. Die Stadt zerstreut und macht belanglos. Mich jedenfalls.
Sie haben aber eine Zeit lang in New York gelebt. Waren Sie froh, wieder zu gehen?
Ich lebte drei Monate in New York, um dort für mein drittes Buch "Die Unberührten" zu recherchieren. Es war eine tolle Zeit. Ich liebte besonders die Architektur der frühen 30er-Jahre. Mir war aber immer klar, dass ich zurückkehren werde. Als ich in meiner Straße einen Balkon mit Geranien entdeckte, wusste ich: Provinzialität ist keine Frage des Ortes.
Ihr Buch "Die Luftgängerin" wurde von der Kritik verrissen. Trotzdem antworteten Sie auf die Frage, ob es gelungen sei: "Ja, sogar mehr als das."
Das muss ich einschränken. Ich liebe dieses Buch nach wie vor - auch wenn ich es heute aus rein dramaturgischen Gründen anders gestalten würde. Ich mag es deshalb, weil ich mich sprachlich wie inhaltlich bis zur Unerträglichkeit riskiert habe. Dann erlag ich wie viele meiner Kollegen der Last des Zweitlings. Ich wollte es besser machen, habe mir fünf Jahre lang Zeit gelassen. Ich wollte zu viel. Das zweite Buch musste scheitern, ich hatte gar keine Chance. Dass die Rezeption des Buches zu einer persönlichen Hetzjagd auf den Autor wurde, hat mich damals unglaublich irritiert und auch sehr verletzt. Etwa als der Blessing-Verlag nach zahllosen Verrissen "Die Luftgängerin" aus Scham vom Buchmessestand wegräumte. Das brannte auf der Haut. Das war Fegefeuer.
Wäre das anders, wenn Sie bescheiden geblieben wären?
Ja klar, nach dem Motto: Schaut her, ich bin der Erbärmlichste von euch allen. Ich schäme mich abgrundtief, dass mein Buch ein so großer Erfolg geworden ist. Es gibt viele, die das toll spielen können. Ich kann es nicht. Ich war stolz auf mein Buch, und diesen Stolz habe ich gezeigt. Goethe sagt: Nur Lumpen sind bescheiden.
Lesen Sie noch Kritiken?
Ich lese überhaupt nicht. Nur wenn ich für etwas Feuer gefangen habe. Dann bin ich maßlos. Das war schon als Kind so. Mir wurde im Lauf der Jahre immer klarer, dass Autor und Kritiker ungleiche Brüder sind.
Folgendes Postulat stammt auch von Ihnen: "Die Kritiker haben sich der Literatur gefälligst mehr mit Demut zu nähern!"
Zu diesem Satz aus den 90er-Jahren stehe ich nach wie vor, wobei ich glaube, dass sich die Demut zwischenzeitlich der Literaturkritik genähert hat, nicht umgekehrt.
Fehlte es Ihnen an Demut?
Ich habe die allergrößte Achtung oder Demut vor Menschen, die ich liebe, vor Kunstwerken, die ich verehre. Ich habe keine Demut vor Menschen, die ihre Autorität zur Schau stellen oder sie missbrauchen.
Sie haben sich damals aber auch mit allen angelegt.
Das war ein Wechselspiel. Ich konnte gar nicht anders. Ich bereue keinen Kampf, keine Schlacht meines Lebens. Aber ich habe auch gelernt, mich zu entschuldigen, mich zu versöhnen. Schon auf dem Gymnasium war ich ein Renegat. Wir konnten uns damals ab der siebten Klasse von unseren Lehrern siezen lassen. Davon habe ich als einziger Gebrauch gemacht. Die hätten am liebsten auf mich gespuckt, aber sie mussten mich eben siezen. Ich denke, ich war ein verletztes Kind, das wild um sich geschlagen, das nach Anerkennung gerungen hat. Jetzt weiß ich, dass man so keine Würdigung erfährt. Auch der frühe Erfolg riss die Wunden nur noch tiefer. Ich weiß, dass es nur eine Aufgabe in meinem Leben gibt: Heimkommen zu mir selbst - das heißt, mir selbst verzeihen.
Alle Helden Ihrer Bücher sind Grenzgänger. Sind Sie selbst einer?
Vermutlich ja, auch wenn ich nach außen ein stinknormales bürgerliches Leben lebe. Ich habe das Denken immer geliebt, besonders das Nichtauszudenkende. Insofern würde ich mich als Grenzgänger be-zeichnen, oder wie Nietzsche es einmal so schön gesagt hat: "Es ist immer etwas Sinn im Wahnsinn."
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